ÖGN 2012: Demenz-Prodromi

Um in der klinisch symptomfreien Periode zu intervenieren, ist der Nachweis biologischer Indikatoren (Marker) notwendig. Risikofaktoren wirken als Beschleuniger der neuropathologischen Veränderungen, durch deren Erkennung/Vermeidung der klinische Beginn der Alzheimer-Symptomatik um Jahre verzögert und die klinische Verlaufsprogression gemildert werden können.
Unterschiedliche kognitive Teilleistungen variieren physiologischerweise mit zunehmendem Alter (zum Besseren und Schlechteren). Ab dem 65. Lebensjahr liegt allerdings die jährliche Kipprate milder kognitiver Beeinträchtigung (MCI) zur Alzheimer-Demenz bei 12–15 % p. a. Selbst kognitiv gesunde Personen zeigen eine Konversionsrate zur Demenz von 1–2 % p. a. Es gilt daher als Ziel, neuropathologische Anzeichen der Alzheimer- Erkrankung (AD) bereits vor Ausbruch der klinischen Symptomatik zu erkennen, um präventiv einzuwirken.

 

Früherkennung

Die ersten präsymptomatischen AD-Veränderungen sind im Liquor feststellbar: Dazu gehört die Erhöhung der gesamt- und hyperphosphorilierten Tau-Konzentration als Indikator des Nervenzelluntergangs und der erniedrigte Amyloidspiegel (aβ-Protein). Schon im präklinischen Alzheimer-Stadium kann der zugrunde liegende pathologische Prozess durch bildgebende Verfahren nachgewiesen werden. Typisch für die Erkrankung sind die Amyloidablagerungen im Neuropil, die mit Hilfe eines PET-Tracers (Florbetapir F18, seit April 2012 erster und einziger für AD zugelassener Amyloidtracer) quantifizierbar und lokal zuordenbar sind. Außerdem sind funktionelle Veränderungen wie regionale Durchblutungsminderung und reduzierter regionaler Zuckerumsatz im Gehirn mittels 18-FDG-PET nachweisbar.
Wenn im Alzheimer-Prodromalstadium erste kognitive Defizite auftreten, ist es möglich, mittels hochauflösender 7-Tesla-MRT zu untersuchen, ob bereits beginnende Atrophiezeichen in bestimmten Hirnarealen vorliegen. Krankheitsspezifische strukturelle Veränderungen, die Hinweise auf AD und deren Progression geben, sind der Hippocampus und der entorhinale und mediotemporale Kortex. Ziel all dieser Prodromaluntersuchungen ist es, Algorithmen zu entwickeln, die früh erlauben, zwischen kognitiv gesunden „Vergesslichen“ und Menschen mit neuropathologischer AD im klinisch stummen AD-Prodromalstadium zu unterscheiden. Die äußerst relevante Frage der Vergesslichen, Angehörigen und behandelnden Ärzten und Ärztinnen lautet: „Ist die kognitive Beeinträchtigung Beginn der Alzheimer-Demenz?“
Studien haben gezeigt, dass gesunde Kontrollpersonen ähnliche Merkmalsmuster wie „gesunde MCI-PatientInnen“ haben, die also nicht innerhalb von zwei Jahren zur AD konvertierten, während „prodromale MCIPatientInnen“, die innerhalb von zwei Jahren zu AD konvertierten, ein ähnliches Befundmuster wie Alzheimer-PatientInnen hatten.

Charakteristische Ergebniscluster: Da jede einzelne diagnostische Methode für sich keinen eindeutigen Befund bezüglich ADVorhersage liefert, versucht man derzeit, die  Einzelergebnisse diverser Untersuchungsmethoden mit mathematischen Modellen zu einem charakteristischen Ergebniscluster zu formen. Ob ein/eine MCI-PatientIn zu Alzheimer konvertieren wird oder nicht, kann so mittels Kombination von neuropsychologischen Ergebnissen, Liquoranalysen, struktureller MRI- und funktioneller PET-Daten beantwortet werden. Die Treffsicherheit liegt bei knapp 70 %, die Sensitivität über 95 % und die Spezifität bei enttäuschenden 60 %. Es besteht Verbesserungsbedarf der multimodalen Mustererkennung. Die Aussagekraft der unterschiedlichen Diagnosemethoden sollte durch entsprechende Gewichtung in den Algorithmus einfließen. Weiters sollte die klinische Beobachtungszeit verlängert werden.

 

 

 

Präventionschancen

Derzeit beschränkt sich die evidenzbasierte Alzheimer-Therapie auf symptomatische Wirkstoffe wie Cholinesterasehemmer (Donepezil, Galantamin und Rivastigmin) und den Glutamatrezeptorantagonisten Memantin. Diese Wirkstoffe werden zur Behandlung der „klinischen Endstrecke“ eingesetzt. Aktuelle Konzepte „krankheitsmodifizierender“ Therapien beruhen auf Immunisierung (Impfung aktiv und passiv), Enzymmodulatoren (z. B. Sekretasehemmer) und anderen Hypothesen.
Künftiges Ziel wird sein, die Erkrankung bereits im präsymptomatischen Stadium zu diagnostizieren und zu beeinflussen. Das große Zeitfenster der Prävention liegt im mittleren Lebensabschnitt (30. bis 60. Lebensjahr). In dieser Zeit gilt es, besonders bei gefährdeten Personen (familiäre Alzheimer- Häufung), u. a. die jetzt schon bekannten Risikofaktoren („Alzheimer-Treiber“) wie Bluthochdruck, Diabetes, Tabakrauchen, geistige und körperliche Inaktivität, Depression und Übergewicht zu erkennen. Auch die Modifikation des Lebensstils mit geistiger, körperlicher und sozialer Aktivität bei gesunder Ernährung bietet Chancen, den klinischen Beginn und Verlauf der AD im präsymptomatischen Stadium zu beeinflussen.