Digitale Gesundheitsanwendungen in Österreich

Eine digitale Gesundheitsanwendung (DIGA) ist eine App oder Webanwendung, die bei der Diagnose, Aufklärung, Überwachung und Behandlung von körperlichen oder psychischen Erkrankungen unterstützt. Im Gegensatz zu einer bloßen Lifestyle-App wie einem Patiententagebuch oder Zykluskalender ohne Analysefunktionen ist eine DIGA ein sicheres, geprüftes und zertifiziertes digitales Medizinprodukt, das vor seinem Einsatz nach der aktuellen Medizinprodukteverordnung geprüft werden muss. In Deutschland können DIGAs bereits auf Rezept verordnet werden und auch in Österreich wird daran intensiv gearbeitet.

Schritte zur Etablierung von DIGAs

Beim Austrian Health Forum (AHF) in Schladming stellte Mag.a (FH) Veronika E. Mikl, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für pharmazeutische Medizin (GPMed), einige der Hürden und Lösungsansätze vor: „Die öffentliche Wahrnehmung über den Mehrwert von DIGAs nimmt glücklicherweise zu, wie man auch im ,Digital Austria Act‘ erkennen kann. In Österreich liegen zahlreiche Konzepte, wie DIGAs verschreibbar oder verordnet werden können, auf den Tischen der Entscheidungsträger:innen aus Politik, Verwaltung und Sozialversicherung.“

Auch die Ärzt:innen, also diejenigen, über deren Tische die Verordnungen später gehen sollen, sind mehrheitlich für die Einführung von DIGAs. Einer Umfrage von RELATUS MED zufolge können sich 69,1% der teilnehmenden Ärzt:innen grundsätzlich vorstellen, DIGAs zu verordnen (siehe Infobox). Als Voraussetzung sehen sie beispielsweise einen Wirksamkeitsnachweis, die Erstattung und die Zulassung der Apps. Dies entspricht auch den drei Prozessschritten CE-Zertifizierung, Vertrauenssiegel und Erstattung, die in Österreich auf dem Weg zur Etablierung verschreibungspflichtiger und erstattungsfähiger DIGAs bearbeitet werden.

CE-Zertifizierung: Der erste Schritt entspricht, wenn man es so bezeichnen möchte, der „Zulassung“ einer DIGA für die Inverkehrbringung innerhalb der EU. Im Zuge der Konformitätsprüfung werden Zweckbestimmung und Risikoklasse einer DIGA definiert und von den Herstellern die notwendigen technischen Dokumentationen, Qualitätsmanagementsysteme, ISO-Zertifizierungen und klinischen Studien gefordert, damit eine DIGA auf Grundlage des österreichischen Medizinproduktegesetzes bzw. der EU-Medizinprodukteverordnung als sicher und wirksam für Patient:innen und Ärzt:innen gelten kann. Dabei können allein schon die klinischen Studien bis zu zwei Jahre, die gesamte Zertifizierung etwa fünf Jahre in Anspruch nehmen.

Vertrauenssiegel: Zusätzlich zur Konformitätsprüfung soll ein österreichisches ­Vertrauenssiegel als Sicherheitscheck für DIGAs dienen. Dieses soll die Funktions-, Cyber- und Datensicherheit prüfen, die Kompatibilität mit der österreichischen ­Telematik-Infrastruktur sicherstellen und DIGAs in definierte Kategorien wie Zielgruppen, Funktion und Indikation/Kontraindikation einordnen. Das Vertrauenssiegel könnte künftig beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) und der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) angesiedelt sein.
Zusätzlich informierte Dipl.-Ing. Arnold ­Herzog vom BASG/AGES in seinem Vortrag darüber, dass bei der Durchführung dieser Schritte mit einer Dauer von 3–6 Monaten zu rechnen sei. „Wichtig ist jedenfalls, dass Doppelgleisigkeiten beispielsweise zur Konformitätsprüfung vermieden werden. Dann kann ein Vertrauenssiegel ein wertvoller Enabler für DIGAs in Österreich und ein wesentlicher Schritt in Richtung Erstattung sein“, kommentierte Mikl.

Erstattung: Die genaue Definition einer DIGA durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger und die Österreichische Gesundheitskasse ist ausschlaggebend dafür, wie eine DIGA versorgungswirksam in bestehende Abläufe und Versorgungspfade eingebettet werden kann. Derzeit werden ­DIGAs vor allem bei chronischen Erkrankungen der Psyche, des Herz-Kreislauf-Systems, des Bewegungsapparates, des Nervensystems und des Stoffwechsels eingesetzt, was auch den Vorstellungen der Ärzt:innen in der RELATUS-MED-Umfrage entspricht. Als weitere sinnvolle Verwendungsmöglichkeit von DIGAs wurde dabei das Monitoring z.B. von Blutdruckwerten oder anderen leicht messbaren Parametern ohne manifeste Erkrankung genannt.

Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) hat einen möglichen Prozessablauf für die Erstattung von DIGAs entwickelt. Dabei ist derzeit eine Erstattung nur für Anwendungen vorgesehen, die auf Deutsch verfügbar sind, für chronische Erkrankungen ausgelegt sind und für Behandlung und Monitoring, jedoch nicht für die Diagnose verwendet werden sollen. Berücksichtigt werden Ergebnisse aus der CE-Konformitätsbewertung, Ergebnisse aus klinischen Studien und das Vertrauenssiegel. Die Bewertung sollte innerhalb von 6–12 Monaten abgeschlossen sein.

DIGAs aus Sicht der Ärzt:innen

Mit der Etablierung eines planbaren, vertrauenswürdigen und sicheren Zulassungsprozesses sollten auch die größten Hürden auf dem Weg zum Einsatz von DIGAs ­ausgeräumt werden, da für 86,1% der bei RELATUS MED abstimmenden Ärzt:innen derzeit noch die nötigen Rahmenbedingungen fehlen. 44,8% nennen außerdem die mangelnde Akzeptanz als Hindernis, da nur 35,5% die Patient:innen als offen für die Verwendung von DIGAs einschätzen. Als größte Chancen sehen die teilnehmenden Ärzt:innen dagegen mit 65,8% die Patientennähe und 57,1% die einfache Datensammlung und -verarbeitung mittels App. Am Ende könnten damit CE-geprüfte, vertrauenswürdige, vernetzte und versorgungsrelevante Apps eine Win-win-win-Situation für Ärzt:innen, Patient:innen und alle anderen Stakeholder gleichermaßen darstellen.

Resümee

Auf dem Weg bis zur breiten Anwendung von DIGAs müssen jedoch die drei Schritte Konformitätsprüfung, Vertrauenssiegel und Erstattung sowie die damit zusammenhängenden Prozesse von sämtlichen Beteiligten gemeinsam pilotiert, analysiert und kontinuierlich optimiert werden, sagt Mikl: „Wir müssen zügig die gesetzlichen Grundlagen schaffen, sicherstellen, dass die Abläufe inhaltlich gut ineinandergreifen und alle das ambitionierte Ziel gemeinsam verfolgen, dass 2024 in Österreich Apps von Ärzt:innen für Patient:innen auf Rezept verordnet und erstattet werden können.“