HCC-relevante Targets – Medikamentöse Therapie des hepatozellulären Karzinoms

Mehr als 95 % aller HCC entstehen in einer zirrhotischen Leber; somit existieren bei diesen Patienten miteinander konkurrierende potenzielle Todesursachen (Leberzirrhose, HCC), was jede therapeutische Intervention zu berücksichtigen hat. Nach dem gängigen BCLC-Staging-System ist für eine alleinige medikamentöse Therapie das BCLCStadium C (fortgeschrittenes Stadium, definiert durch die Präsenz einer portalen Tumorinvasion oder das Vorhandensein von lokoregionären Lymphknotenmetastasen oder Fernmetastasen oder einem reduzierten Performance Status [PST 1- 2]) die therapeutische Domäne, der Einsatz im BCLC-Stadium B (Intermediärstadium) oder BCLC-Stadium A (Frühstadium) ist derzeit durch die Studienlage nicht gedeckt.

Chemotherapie

Auch beim hepatozellulären Karzinom wurden viele Chemotherapeutika untersucht und erbrachten Ansprechraten zwischen 10 und 20 %, jedoch konnte in keiner Studie ein Überlebensvorteil gegenüber best supportive care gefunden werden. Doxorubicin ist das am meisten studierte Chemotherapeutikum mit in Phase-III-Studien erzielten objektiven Ansprechraten zwischen 4 und 10 %1, 2. Andere Chemotherapeutika wie Docetaxel, Irinotecan oder Gemcitabin konnten im Einsatz als Monotherapie ebenfalls keinen Überlebensvorteil demonstrieren. Eine Polychemotherapie mit PIAF (Cisplatin, Interferon-α2b, Doxorubicin, 5- Fluorouracil) erreichte in einer Phase-IIIStudie objektive Responsraten von 20 %, wobei jedoch weder in der Responsrate noch im Gesamtüberleben gegenüber Doxorubicin alleine ein signifikanter Vorteil gezeigt werden konnte1.

Hormontherapie

Rezeptoren für Östrogen, Androgen oder Somatostatin sind auf Zellen des hepatozellulären Karzinoms exprimiert, so dass eine Manipulation mit Antihormonpräparaten versucht wurde. Das Antiöstrogen Tamoxifen wurde in 6 großen randomisierten Studien bei fortgeschrittenem HCC mit uneinheitlichen Resultaten untersucht, wobei in Metaanalysen kein Überlebensvorteil demonstriert werden konnte3. Weder konnte eine antiandrogene Therapie einen Vorteil für die Patienten erbringen4 noch erwiesen sich Versuche mit Interferon, Thalidomid oder Octreotid als effektiv5.

Zielgerichtete Therapien

Sorafenib ist ein oraler Multikinaseinhibitor, der den RAF/MEK/ERK-Signalpfad blockiert und somit eine Tumorzell-Proliferationshemmung ausübt, der aber auch über die Hemmung der Tyrosinkinase des Vascular Endothelial growth factor Receptor 2 (VEGVR-2), des VEGFR- 3 und des Platelet-derived growth factor Receptor β (PDGFR-β) einen Antiangiogeneseeffekt ausübt. In zwei internationalen Phase-III-Studien hat Sorafenib bei Patienten mit Child-A-Zirrhose und BCLC-Stadium C (fortgeschrittenes HCC) gegenüber Placebo einen Überlebensvorteil gezeigt: In der Europäisch-Amerikanischen SHARP-Studie war das Gesamtüberleben von 7,9 Monate auf 10,7 Monate (p = 0,001) und die mediane Zeit bis zur Progression von 2,8 Monate auf 5,5 Monate signifikant verlängert worden (p = 0,001)6. In der zweiten Phase- III-Studie (Asien-Pazifische Studie)7, in der sich besonders viele Patienten mit Hepatitis-B-Virusinfektion befanden, konnte das mediane Überleben von 4,2 Monate auf 6,5 Monate gesteigert werden (p = 0,014).
Sorafenib wird im Regelfall gut vertragen, jedoch können Nebenwirkungen wie Di-
arrhoe, Hand- und Fußreaktion, Müdigkeit und Gewichtsabnahme häufig auch eine Dosisreduktion notwendig machen. Eine geringe radiologische Progression unter Sorafenib rechtfertigt derzeit noch keine Beendigung der Therapie, da auch im SHARP-Trial bei radiologischer Progression die Therapie beibehalten und der positive Effekt des overall survival gezeigt wurde. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Wirksamkeitsdaten nur bei Patienten mit Child-Pugh-A-Leberzirrhose gezeigt wurde. Die sehr häufig vorkommende klinische Situation eines HCC in einer Child-Pugh-B-Zirrhose ist bisher nicht in einer randomisierten Studie untersucht worden. Weder ist der erhoffte Überlebensbenefit noch das Sicherheitsprofil von Sorafenib bei Child-B-Patienten ausreichend studiert. Bei Child- Pugh-B-Patienten wurden eine Verschlechterung der Leberfunktion und ein Anstieg des Bilirubins beobachtet, ob dies mit der Therapie oder der Verschlechterung der Grunderkrankung zusammenhängt ist jedoch unklar.8, 9

Kombinationstherapie mit Sorafenib: In einer randomisierten Phase-II-Studie wurde Doxorubicin plus Sorafenib gegen Doxorubicin plus Placebo verglichen10. Die mediane Zeit zur Progression betrug mit Doxorubicin plus Sorafenib 9 Mo – nate, mit Doxorubicin plus Placebo 5 Monate. Leider wurde hier als Therapiestandard nicht Sorafenib, sondern (das alleine keinen Überlebensvorteil aufweisende) Doxorubicin eingesetzt, so dass die tatsächliche zusätzliche therapeutische Wirksamkeit von Sorafenib plus Doxorubicin nicht abgeschätzt werden kann. Zusätzlich kam es auch zu einer beträchtlichen Anzahl vorwiegend kardialer Grad-3/4-Toxizitäten, die einen Synergismus auch bei den Nebenwirkungen wahrscheinlich machen. Derzeit läuft eine randomisierte Phase-III-Studie, welche die Kombination von Sorafenib plus Doxorubicin gegen Sorafenib alleine untersucht (CALGB-NCI Trial); die Gonex- Studie vergleicht Gemox plus Sorafenib gegen Sorafenib allein. Ebenfalls noch nicht abgeschlossen ist eine internationale Phase-III-Studie, die Sorafenib plus Erlotinib (EGFR-Inhibitor) gegen Sorafenib plus Placebo untersucht (SEARCH).

Andere zielgerichtete Therapieprinzipien

Nach Aufklärung einiger für die Tumorproliferation wichtiger Signaltransduktionswege und der mit Sorafenib erstmals gelungenen signifikanten Verlängerung der Überlebenszeit beim fortgeschrittenen HCC werden nun eine Reihe anderer zielgerichteter Therapien auch bei dieser Tumorentität getestet. Diese richten sich gegen den epidermal growth factor receptor (EGFR) und gegen die Signaltransduktion über proangiogenetische Pfade wie VEGF, PDGFR, weiters gegen den mTOR-Pathway und die MEK/ERKAktivierung.

Inhibitoren des epidermal growth factor receptor (EGFR): Zur Hemmung des Signalwegs über den EGFR kommen monoklonale Antikörper, die kompetitiv den extrazellulären endogenen Liganden binden, und kleine Moleküle (small molecules), die die intrazelluläre Tyrosinkinase- Domäne des EGFR hemmen, in Frage. Beim HCC zeigen lediglich EGFR-Tyrosinkinase- Inhibitoren eine Aktivität. In einer Phase-II-Studie von Erlotinib (Tarceva ®) beim HCC mit Child-Pugh-A-Leberzirrhose waren nach 6 Monaten 32 % der Patienten progressionsfrei mit einer medianen progressionsfreien Überlebens – zeit von 3,8 Monaten.11 In einer Phase- II-Studie von Lapatinib, einem dual wirksamen Inhibitor der EGFR- und HER2/neu-Tyrosinkinase wurde hingegen nur ein progressionsfreies Überleben von 1,8 Monaten beobachtet.12 Der chimäre monoklonale Antikörper gegen EGFR, Cetuximab, wurde in einer Phase- II-Studie bei fortgeschrittenem HCC getestet und verzeichnete ein medianes progressionsfreies Überleben von 1,4 Monate13. Auf Grund der nachweisbaren, wenn auch bescheidenen Wirksamkeit von Erlotinib beim HCC wurde eine Kombinationsstudie von Sorafenib plus Erlotinib gegen Sorafenib alleine als Phase-IIIStudie begonnen (SEARCH Study), deren Ergebnisse jedoch erst 2012 verfügbar sein werden.

Bevacizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler VEGF-Antikörper. In einer Phase-II-Studie konnte mit Bevacizumab als Monotherapie ein progressionsfreies Überleben von 6,9 Monaten erreicht werden14. Bevacizumab scheint somit eine klinische Wirksamkeit bei HCC zu haben, das Risiko von Blutungen, Hypertension und thromboembolischen Ereignissen muss jedoch bei Vorliegen einer Leberzirrhose weiter definiert werden.

Sunitinib ist ein oraler Multikinaseinhibitor gegen die Rezeptortyrosinkinasen-Domänen von VEGFR-1 und -2, PDGFR, c-Kit und anderen. Nachdem Phase-II-Studien ermutigende Ergebnisse erbracht haben, wurde eine große Phase-III-Studie gestartet, die Sunitinib gegen Sorafenib bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC testete, diese musste jedoch wegen einer erhöhten Anzahl von schweren Nebenwirkungen in Sunitinib-Arm und wegen des Nichterreichens des vordefinierten Non-inferiority– Endpunkts abgebrochen werden.

Brivanib ist ein dualer Inhibitor des VEGFR und des FGFR-Signalwegs (fibroblast growth factor receptor), der in einer Phase-II-Studie bei HCC ein progressionsfreies Überleben von 2,8 Monaten zeigte15. Derzeit wird Brivanib im First- Line-Setting gegen Sorafenib (BRISK-FL) und bei Patienten nach Sorafenib-Versagen im Second-Line-Setting (BRISK-PS) in Phase-III-Studien getestet.

ABT-869 (Linifanib) ist ein oral wirksamer selektiver Inhibitor von VEGFR und PDGFR, der in einer Phase-II-Studie an Child-Pugh-A-Patienten mit hepatozellulärem Karzinom getestet wurde16. Das mediane progressionsfreie Überleben wurde mit 3,5 Monaten angegeben. Eine große randomisierte Phase-III-Studie, die Sorafenib gegen Linifanib (LIGHT-Studie) vergleicht, wird derzeit durchgeführt.
Pazopanib, ein Inhibitor des VEGFR, PDGFR und c-Kit, AZD-2171 (Cediranib), ein Pan-VEGFR-Tyrosinkinaseinhibitor, PTK-787 (Vatalanib), ein Pan- VEGFR-Tyrosinkinaseinhibitor und andere Inhibitoren werden derzeit in Phase-IIStudien bei HCC getestet.

mTOR-Inhibitoren: mTOR (mammalian target of rapamycin) ist in der Regulation von Proteinsynthese, Angiogenese und Zellzyklusprogression auch beim HCC involviert; mTOR-Inhibitoren sind Immunsuppressiva und als Sirolimus, Temsirolimus und Everolimus klinisch verfügbar. Beim Einsatz im Rahmen einer Lebertransplantation nach HCC hatten Patienten mit einem sirolimusbasierten Immunsuppressionsregime eine geringere Rate von Tumorrezidiven als unter Calcineurin – inhibitoren. Derzeit läuft eine große randomisierte Studie, die den Einfluss der Immunsuppression mit Sirolimus auf das HCC-Rezidiv nach Lebertransplantation untersucht (SILVER-Studie). In einer Phase- I-Studie mit Everolimus beim fortgeschrittenen HCC wurde von einer Krankheitskontrollrate von 61 % berichtet17.

Second-Line-Therapien

Als Second-Line-Therapie nach Sorafenib- Versagen gibt es derzeit keinen etablierten Therapiestandard. Brivanib wurde bei Patienten, die auf Sorafenib oder Thalidomid bei fortgeschrittenem HCC ein Therapieversagen aufwiesen, eingesetzt. Hier konnte eine Krankheitskontrollrate von 46 % und eine mediane Zeit bis zur Progression von 2,7 Monaten verzeichnet werden. Derzeit laufen mehrere große randomisierte Studien im Second- Line-Setting: Everolimus (RAD-001) gegen Placebo, Brivanib gegen Placebo und Ramucirumab (VEGFR2-monoklonaler Antikörper) gegen Placebo, deren Zielparameter das Gesamtüberleben ist.

Adjuvante zielgerichtete Therapien

Derzeit wird in einer Phase-III-Studie (STORM) Sorafenib oder Placebo bei Patienten mit HCC, die nach chirurgischer Resektion oder perkutaner Ablationstherapie (RFA oder PEI) tumorfrei sind, getestet. Primäre Endpunkte sind das rezidivfreie Überleben. Sekundäre Endpunkte sind Zeit bis zum Rezidiv und das Gesamtüberleben.

 

 

FACT-BOX

Mit positiven Daten aus zwei randomisierten Phase-III-Studien konnte Sorafenib bei Patienten mit fortgeschrittenen HCC erstmals in dieser Patientengruppe einen Überlebensbenefit zeigen; es hat sich daher zum Therapiestandard im fortgeschrittenen Stadium (BCLC-Stadium C) entwickelt. Eine ganze Reihe von anderen zielgerichteten Therapeutika werden alleine oder in Kombination mit Sorafenib oder anderen Therapieprinzipien in Phase-II- bzw. Phase-III-Studien getestet. Ebenso wird die Bedeutung von Sorafenib bei HCC in BCLC-Stadium B (Intermediärstadium) in Kombination mit TACE, als auch in BCLC-Stadium A (Frühstadium) nach erfolgreicher Resektion oder lokaler Ablation als adjuvante Therapie getestet. Besonders interessant ist die Kombination von zielgerichteten Substanzen, die unterschiedliche Pfade der Hepatokarzinogenese hemmen. Ebenso wichtig ist es jedoch auch, klinische Parameter zu entwickeln, welche die klinische Effektivität, Toxizität und Resistenzentwicklung vorhersagen bzw. monitieren lassen.

 

1 Yeo W, Mok TS, Zee B et al., A randomized phase III study of doxorubicin versus cisplatin/interferon-2b/doxorubicin/fluorouracil (PIAF) combination chemotherapy for unresectable hepatocellular carcinoma. Natl Cancer Inst 2005; 97:1532–1538
2 Gish RG, Porta C, Lazar L et al., Phase III randomized controlled trial comparing the survival of patients with unresectable hepatocellular carcinoma treated with nolatrexed or doxorubicin, J Clin Oncol 2007; 25:3069–3075
3 Tazi EM, Esssadi I et al., Systemic treatment and targeted therapy in patients with advanced hepatocellular carcinoma. North. Am J Med Sci 2011; 3:167–175.
4 Grimaldi C, Bleiberg H, Gay F et al., Evaluation of antiandrogen therapy in unresectable hepatocellular carcinoma: results of a European Organization for Research and Treatment of Cancer multicentric double-blind trial. J Clin Oncol 1998; 16:411–417
5 Becker G, Allgaier H-P, Olschewski M et al., HECTOR study group. Long-acting octreotid versus placebo for treatment of advanced HCC: A randomized controlled double-blind study, Hepatology 2007; 45:9–15
6 Llovet JM, Ricci S, Mazzaferro V et al., Sorafenib in advanced hepatocellular carcinoma. N. Engl. J. Med. 2008; 359:378–390.
7 Cheng AL, Kang YK, Chen Z et al., Efficacy and safety of sorafenib in patients in the Asia-Pacific region with advanced hepatocellular carcinoma: a phase III randomised, double-blind, placebo-controlled trial, Lancet Oncol 2009; 10:25–34
8 Abu-Alfa GK, Amadori D, Santoro A et al., Safety and efficacy of Sorafenib in patients with hepatocellular carcinoma (HCC) in Child Pugh A versus Child Pugh B cirrhosis.
9 Pinter M, Sieghart W, Hucke F et al., Prognostic factors in patients with advanced hepatocellular carcinoma treated with sorafenib. Liver Int, submitted
10 Abu-Alfa GK, Johnson P, Knox J et al., Final results from two randomized double-blind studies of Sorafenib plus Doxorubicin versus Placebo plus Doxorubicin in patients with advanced hepatocellular carcinoma, Orland, Florida 2008, Gastrointestinal Cancer Symposium, Abstract 128
11 Philip PA, Mahonay MR, Allmer C et al., Phase II Studie of Erlotinib (Osi-774) in patients with advanced hepatocellular cancer. J Clin Oncol 2005; 23:6657–6663
12 Ramanathan RK, Bilani CB, Singh DA et al., A phase II study of Lapatinib in patients with advanced biliary and hepatocellular cancer. Cancer Chemother Pharmakol 2009; 64:777–783
13 Zhu AX, Stuart K, Blaszkowsky LS et al., A phase II study of Cetuximab in patients with advanced hepatocellular carinoma, Cancer 2007; 110:581–589
14 Siegel AB, Cohen EL, Ozean A et al., A phase II trial evaluating the clinical and biological effects of Bevacizumab in unresectable hepatocellulare carcinoma, J Clin Oncol 2008; 26:2992–2998
15 Raoul J, Fin RS, Kangy K et al., An open-label phase II study of first and second line treatment with Brivanib in patients with hepatocellular carcinoma (HCC) J Clin Oncol 2009; 27(suppl):4577
16 Toh H, Ken P Carr PL et al. A phase II study of ABT-869 in hepatocellular carcinoma (HCC): interim analysis. Annual Meeting of the American Society of Clinical Oncology 2009; Abstract 4581
17 Ken LS, Shiaah S, Ken CY et al., Randomised phase I and pharmacokinetic study of RAD 001, a mTOR inhibitor in patients with advanced hepatocellular carcinoma, J Clin Oncol 2009; 27(suppl):4587