Organische Psychosen aufgrund endokriner Störungen

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse

In der Literatur liegen zahlreiche Berichte über eine Aktivierung der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHNA) bei Psychosen vor1-3. Erhöhte Werte für Plasma-ACTH und Serum-Cortisol, erhöhte Cortisol-Ausscheidung im Harn sowie fehlende Supprimierbarkeit von Cortisol im Dexamethason-Hemmtest sind wiederholt bei Patienten mit Schizophrenie teilweise auch schon vor Beginn einer medikamentösen Behandlung beschrieben worden1-3. Der Dexamethason-Hemmtest stellt ebenso wie die Messung der Cortisol-Ausscheidung im 24-Stunden-Harn das Standardverfahren zur Beurteilung der HHNA-Funktion bei der Diagnostik des Cushing-Syndroms dar. Darüber hinaus ist als möglicher Hinweis für eine gesteigerte Aktivität der HHNA in mehreren Studien eine Vergrößerung des Volumens der Hypophyse beschrieben worden, wobei diese Volumenzunahme auch schon in der Prodromalphase von psychotischen Erkrankungen beobachtet worden ist4. Diese Berichte lassen noch nicht die Schlussfolgerung zu, dass die Aktivierung der HHNA mit gesteigerter Cortisol- Produktion Ursache der psychischen Veränderungen ist. Ebenso könnten diese Veränderungen als Stressreaktion interpretiert werden. Für erstere Variante spricht jedoch die Häufigkeit von psychiatrischen Symptomen bei endogenem Hyperkortizismus. Unabhängig davon, ob eine Cortisol-Überproduktion auf ein ACTH-produzierendes Hypophysen-Adenom (häufigste Variante, für etwa 80% der Fälle von endogenem Hyperkortizismus verantwortlich), eine überschießende Cortisol-Produktion durch ein Adenom, eine mikrooder makronoduläre Hyperplasie oder ein Karzinom der Nebenniere oder als paraneoplastisches Syndrom auf einen ektopen ACTH-produzierenden Tumor zurückzuführen ist, sind psychiatrische Symptome eine häufige Begleiterscheinung.
In einer Untersuchung von über 200 Patienten mit Cushing-Syndrom wies nur etwa ein Drittel keine psychiatrischen Symptome auf5. Wesentlich häufiger als Psychosen, die bei 8% der Patienten auftraten, wurden depressive Verstimmungen bei fast zwei Drittel der Patienten beschrieben, wobei auch dabei eine Aktivierung der HHNA bekannt ist5. Psychotische Erkrankungen waren häufiger bei Karzinomen der Nebennieren, die auch meist mit einer deutlich höheren Cortisol-Produktion verbunden sind, als es bei den anderen einem Cushing-Syndrom zugrundeliegenden Ursachen der Fall ist5. Häufig gingen die psychiatrischen Symptome jenen des Hyperkortizismus voran und besserten sich oder schwanden zur Gänze bei erfolgreicher Behandlung des Cushing-Syndroms5. Ähnlich wie bei Patienten mit Depression ist bei Patienten mit Psychose eine Glucocorticoid- Resistenz und eine verminderte Anzahl von Glucocorticoid-Rezeptoren beschrieben worden2. Der Hyperkortizismus könnte als Versuch der Kompensation interpretiert werden.
Eine rezent publizierte Metaanalyse zur Funktion der HHNA bei Patienten mit psychotischen Stimmungs- und Angststörungen hat gezeigt, dass neben Über- auch Unterfunktionszustände möglich sind3. Beide Abweichungen vom normalen Funktionszustand der HHNA werden auch mit dem stark beeinträchtigten Wohlbefinden und der erhöhten Mortalität von Patienten mit Schizophrenie, insbesondere mit dem hohen Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen in Verbindung gebracht3. Die bei Psychosen meist beobachtete gesteigerte Aktivität der HHNA hat letztlich auch zum therapeutischen Einsatz von Glucocorticoid-Rezeptor-Antagonisten (Mifepriston) bei der Behandlung von psychotischer Depression und Schizophrenie ebenso wie bei bipolarer Depression geführt6. Die Ergebnisse dieser Studien wiesen jedoch nicht immer einen günstigen Effekt dieser Substanzen nach.

Glucocorticoid-Therapie

Zu den zahlreichen möglichen unerwünschten Nebenwirkungen einer Glucocorticoid-Therapie gehören auch unterschiedlichste Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems. Diese reichen von depressiver Verstimmung und manischen Zuständen über delirante Erscheinungen bis zu psychotischen Erkrankungen7. Das individuelle Risiko dafür lässt sich bei Initiierung einer Glucocorticoid-Therapie in pharmakologischer Dosierung nicht durch Prädiktoren abschätzen. Es ist auch nicht eindeutig geklärt, ob geschlechtsspezifische Unterschiede vorliegen, das Auftreten von ZNS-Nebenwirkungen scheint aber bei Frauen häufiger zu sein. Darüber hinaus liegt auch eine Abhängigkeit von der Dosierung vor, mit einer Inzidenz von 1,3% bei Patienten, die 40 mg Prednison oder weniger erhielten, 4,6% bei Patienten die 40 bis 80 mg pro Tag erhielten und 18,4% bei Patienten, die mehr als 80 mg Prednison oder entsprechende Äquivalenzdosen anderer Glucocorticoide erhielten7. Interessanterweise liegen aber in der Literatur auch Fallberichte über das Auftreten von Psychosen nach der Anwendung inhalativer Glucocorticoide vor. Dies wiederum würde für das Bestehen eines Risikos auch bei sehr niedrigen Konzentrationen sprechen, da inhalative Glucocorticoide im Übrigen äußerst selten systemische Nebenwirkungen verursachen. Bräunig und Mitarbeiter8 haben beschrieben, dass ein Drittel der Patienten mit Steroid-Psychose suizidale Gedanken hatten. Erwähnenswert ist auch, dass nicht nur die Glucocorticoid-Therapie, sondern auch der Glucocorticoid-Mangel nach Heilung eines Cushing-Syndroms bzw. Absetzen einer Glucocorticoid-Therapie in pharmakologischer Dosierung mit Entzugssymptomen, die auch psychiatrische Manifestationen beinhalten können, verbunden sein kann.

Schilddrüsenfunktionsstörungen

Seit langem ist bekannt, dass eine Schilddrüsenüberfunktion die zugrundeliegende Ursache für die Manifestation psychischer Erkrankungen − wie manisch depressiver Verstimmungen, deliranter Zustände, aber auch schizophreniformer und paranoider Psychosen − sein kann9. Dies hat auch zum Terminus “Thyreotoxische Psychose” geführt. Dabei ist die der Hyperthyreose zugrunde – liegende Erkrankung (Morbus Basedow oder toxisches Adenom) ohne Bedeutung. Medikamentöse Therapie der Hyperthyreose führt meist zu einer deutlichen Besserung der Symptome. Die Hypothyreose ist nicht nur viel häufiger als die Hyperthyreose, sondern auch häufiger als die Überfunktion mit unterschiedlichen psychiatrischen Symptomen assoziiert. Diese reichen von der Einschränkung von kognitiven Fähigkeiten über affektive Störungen zu Psychosen. Bei Patienten mit Myxödem ist eine Häufigkeit von 5 bis 15% beschrieben10. Auch hier ist in aller Regel ein gutes Ansprechen auf eine Schilddrüsenhormon- Substitutionstherapie zu erzielen, wobei die psychiatrischen und neurologischen Symptome häufig länger persistieren als die anderen Symptome einer Hypothyreose. Die Diagnostik von Schilddrüsenfunktionsstörungen ist meist einfach und besteht in der Erhebung der Serum- Konzentration von TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon), fT4 (freies Thyroxin) und T3 oder fT3 (freies Trijodthyronin).

Hyperparathyreoidismus

Psychiatrische Veränderungen bei durch Hyperparathyreoidismus induzierter Hyperkalzämie können den zahlreichen anderen mit Hyperparathyreoidismus verbundenen Symptomen (Polyurie, Osteoporose, Nephrokalzinose, Magen- und Duodenalulzera, Pankreatitis, Muskelschwäche, verkürzte QT-Zeit u. a.) vorausgehen. Wenngleich Müdigkeit, Apathie und Depression in Abhängigkeit vom Schweregrad der Hyperkalzämie wesentlich häufiger sind und die Hälfte aller Patienten betrifft, können seltener auch akute psychotische und paranoide Zustände sowie delirante mit Halluzinationen einhergehende Symptome auftreten11. Wie bei anderen endokrinen Störungen sind diese meist mit der Korrektur der durch Hyperparathyreoidismus verursachten Hyperkalzämie reversibel. Zur Diagnostik des primären Hyperparathyreoidismus ist die Bestimmung von Kalzium, Albumin (alternativ auch ionisiertes Kalzium) und Parathormon erforderlich.

Sexualsteroide

Die “Östrogen-Hypothese” stützt sich auf die Beobachtung, dass prämenopausale Frauen vor der Manifestation schwerer Schizophrenie besser geschützt sind als Männer, in der Menopause dann aber gefährdeter erscheinen. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass im Gegensatz zu dem steilen Anstieg der Schizophrenie- Prävalenz zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr bei Männern, bei Frauen diese nur langsam mit dem Alter zunimmt und zwischen dem 45. und 50. Lebensjahr gipfelt12.
Diese Beobachtung hat zum Versuch des therapeutischen Einsatzes von Östrogen-Präparaten bei postmenopausalen Frauen mit Schizophrenie geführt12. Die Berichte sind jedoch präliminär und müssen einerseits noch bestätigt und andererseits auch den bekannten, mit Östrogen-Therapie in der Menopause einhergehenden Risiken (Mammakarzinom, Pulmonalembolie, zerebraler Insult und möglicherweise auch Begünstigung des Auftretens von Myokardinfarkt) gegenübergestellt werden. Im Gegensatz zu den anfangs beschriebenen Überfunktionszuständen der Nebennieren mit überschießender Produktion von Cortisol bei Patienten mit Psychosen und Schizophrenie, werden andere Nebennieren-Hormone mit zentraler Wirkung, wie Pregnenolon und Dehydroepiandrosteronsulfat, vermindert freigesetzt13. Auch hier wurde in ersten Studien über den therapeutischen Einsatz dieser “Neurosteroide” über günstige Auswirkungen bei der Behandlung von Schizophrenie berichtet, die aber ebenfalls noch einer Bestätigung bedürfen.

resümeeAn das mögliche Vorliegen endokriner Erkrankungen sollte bei der Manifestation von Psychosen gedacht werden. Aufgrund der Häufigkeit primär an die Hypothyreose, aber auch an die Hyperthyreose und an den Hyperparathyreoidismus. Für diese drei Erkrankungen ist die Diagnose zumeist einfach (TSH, fT4 und T3 bzw. Kalzium und Parathormon) zu bestätigen oder auszuschließen. Im Gegensatz dazu stellt die Diagnose eines Cushing-Syndroms meist eine große Herausforderung dar und erfordert jedenfalls dynamische Tests sowie meist darauf spezialisierte Abteilungen.

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3) Bradley AJ, Dinan TG, A systematic review of hypothalamic-pituitary- adrenal axis function in schizophrenia: implications for mortality. J Psychopharm 2010; 24 (Suppl. 4):91-118
4) Büschlen J, Berger GE, Borgwardt StJ, Aston J, Gschwantner U, Pflueger MO, Kuster P, Radü EW, Stieglitz R, Riecher-Rössler A, Pituitary volume increase during emerging psychosis. Schizophr Res 2011; 125:41-48
5) Kelly WF, Psychiatric aspects of Cushing’s syndrome. Q J Med 1996; 89:543-551
6) Schatzberg AF, Lindley St, Glucocorticoid antagonists in neuropsychotic disorders. Eur J Pharmacol 2008; 583:358-364
7) Patten SB, Neutel, CI Corticosteroid-induced adverse psychiatric effects. Incidence, Diagnosis and Management. Drug Safety 2000; 22:111-122
8) Bräunig P, Bleistein J, Rao ML, Suicidality and corticosteroid-induced psychosis. Biol Psychiatry 1995; 26:209-210
9) Brownlie BEW, Rae AM, Walshe JWB, Wells JE, Psychoses associcated with thryotoxicosis – “thyrotoxic psychosis”. A report of 18 cases, with statistical analysis of incidence. Eur J Endocrinol 2000; 142:438-444
10) Heinrich TW, Graham G, Hypothyroidism presenting as psychosis: myxedema madness revisited. J Clin Psychiatry 2003; 5:260-266
11) Brown RS, Fishman A, Showalter CR, Primary hyperparathyroidism, hypercalcemia, paranoid delusions, homicide and attempted murder. J Forensic Science 1987; 32:1460-1463
12) Kulkarni J, Estrogen – a newer treatment approach for schizophrenia. Med J Austral 2009; 190:37-38
13) Ritsner MS, The clinical and therapeutic potentials of dehydroepiandro s teron and pregnenolone in schizophrenia. Neuroscience 2011 (in press)