Fokale Therapie beim Low-Risk-PCa: Chance oder Risiko?

Active Surveillance: Im Hinblick auf das erhöhte Risiko einer Überbehandlung und damit assoziierter Nebenwirkungen im Zeitalter des PSA-Screenings1 stellt die aktive Krankheitsüberwachung („active surveillance“) bei Patienten mit Prostatakarzinom in der Niedrigrisikokonstellation („low risk“) eine etablierte Behandlungsoption im Vergleich zu kurativen radikalen Verfahren dar2.
Nach den aktuellen EAU-Leitlinien gelten hierfür als Einschlusskriterien ein Tumornachweis im Stadium T1–T2a in ≤ 2 Stanzen, ein PSA-Wert < 10 ng/ml, ein Gleason-Score ≤ 6 und der Nachweis von maximal 50 % Tumoranteil in einer Stanze2. Neben diesen onkologischen Voraussetzungen ist jedoch auch ein hohes Maß an Patientencompliance erforderlich. Im Gegensatz zur Strategie des „watchful waitings“, bei der eine Behandlung nur bei Symptomen initiiert wird, ist es Ziel der „active surveillance“, einerseits mittels regelmäßiger Rebiopsien und PSA-Messungen eine Tumorprogression auszuschließen und andererseits die Rate an unnötigen radikalen Behandlungen und den damit verbundenen negativen Folgen zu minimieren. Daher gleicht derzeit die Behandlung des Low-Risk-Prostatakarzinoms einem binären System nach dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“.
Eine der Hauptlimitationen einer Active-Surveillance-Strategie stellt die rechtzeitige Detektion einer Tumorprogression dar. In einer aktuelle Studie zeigte sich, dass die Sensitivität ultraschallgesteuerter Rebiopsien zur Detektion eines klinisch signifikanten Prostatakarzinoms lediglich zwischen 9 und 24 % lag3. Daher bieten fokale Therapieoptionen, wie beispielsweise der hochfrequente fokussierte Ul­traschall (HIFU) oder die Kryotherapie eine Möglichkeit, Patienten im Low-Risk-Stadium eine kurative Behandlung anzubieten, die nicht das hohe Risiko von Überbehandlungen radikaler Therapieverfahren und damit von assoziierten Nebenwirkungen trägt.

Einschränkungen fokaler Therapieverfahren: Prostatakarzinome zeichnen sich oft histologisch durch Multifokalität aus, wobei ein umschriebener Prostatakarzinomherd möglicherweise als onkologische Indexläsion fungiert4. Diese Theorie kann als rechtfertigende Grundlage für die Durchführung einer fokalen Therapie beim Prostatakarzinom verstanden werden. Es bleibt jedoch bis heute unklar, ob tatsächlich die Indexläsion das gesamte Letalitätspotenzial der Erkrankung erklärt, oder ob durch eine ausbleibende Behandlung von Nichtindexläsionen der natürliche Verlauf der Karzinomerkrankung negativ beeinflusst werden könnte.
Eine weitere Einschränkung der breiten Anwendung von fokalen Therapienverfahren beim Prostatakarzinom stellt die Ungenauigkeit eines exakten intraprostatischen Stagings mittels radiologischer Verfahren dar. Diese Unfähigkeit sollte jedoch nicht als rechtfertigende Grund­lage für eine generelle Marginalisierung der Therapie von Low-Risk-Prostata­karzinompatienten hin zu einer aktiven Krankheitsüberwachung verstanden werden.

Datenlage: Bisher wurde die fokale Therapie beim Low-Risk-Prostatakarzinom in zwei großen internationalen Studien der ITP-FLP (International Task Force on Prostate Cancer and the Focal Lesion Paradigm)5 im Jahr 2007 und des IWFTI (International Workshop on Focal Therapy and Imaging in Prostate and Kidney Cancer Consensus Panel)6 im Jahr 2009 untersucht. Beide Studie sind jedoch durch eine Heterogenität in den Einschlusskriterien (Einschluss von Patienten mit PSA > 10 und Gleason 7a) gekennzeichnet. Die Hauptlimitation dieser beiden Studien stellt jedoch das Fehlen eines Kontrollarmes dar.

Stellenwert in der Zukunft: Daher besteht die Gefahr, dass durch ein uneinheitliches Studiendesign mit fehlendem Kontrollarm die fokale Therapie in der Zukunft lediglich als „onkologisch äquivalente“ Option zur aktiven Krankheitsüberwachung angesehen wird und damit das eigentliche kurative onkologische Potenzial der Methode unterentwickelt bleibt, welche insbesondere bei der Behandlung des Lokalrezidivs nach kurativ intendierter Radikaltherapie vielversprechend erscheint4. Paradoxerweise könnte aber auch die fokale Therapie in der Zukunft dazu führen, dass Einwände gegen ein generelles PSA-Screening beim Prostatakarzinom ihre Berechtigung verlieren, wenn sie als Chance verstanden wird, das Risiko einer Übertherapie konventioneller radikaler Therapieformen im Low-Risk-Stadium zu reduzieren.
Um ihren Stellenwert bei Patienten mit Low-Risk-Prostatakarzinom näher einzugrenzen, ist es erforderlich, randomisierte Studien zu entwickeln, die ihre onkologische Langzeiteffektivität gegenüber einer aktiven Krankheitsüberwachung untersuchen. Derartige Studien erscheinen insbesondere deshalb vielversprechend, da eine Rekrutierung von Patienten leichter möglich sein wird als bei einem Vergleich von „active surveillance“ gegenüber einer radikalen Therapieform.

Schlussfolgernd lässt sich somit festhalten, dass fokale Therapien das Potenzial aufweisen, das klinische Management von Patienten mit Low-Risk-Prostatakarzinomen weiter zu verbessern. Daher sollten sie als Chancen im Armamentarium des onkologisch tätigen Urologen verstanden werden, die Rate an Überbehandlungen in der Ära des PSA-Screenings weiter zu verringern. Ihre Hauptlimitationen stellen derzeit noch die Ungenauigkeit des intraprostatisches Stagings und fehlende Kenntnisse hinsichtlich der onkologischen Bedeutung von Index- und Nichtindexläsionen dar, sodass eine Behandlung von Patienten derzeit nicht außerhalb von klinischen Studien erfolgen sollte.

 

1 Schröder FH et al., NEJM 2012; 366:981

2 Heidenreich A et al., Eur Urol 2011; 59:61

3 Barzell WE et al., J Urol 2012; 188:762

4 Abern MR et al., Curr Urol Rep 2012; 13:160

5 Eggener SE et al., J Urol 2007; 178:2260

6 de la Rosette J et al., J Endourol 2010; 24:775