Roboterassistierte RPE: Die Zukunft oder eine Pseudoinnovation?

Die retropubische radikale Prostatektomie stellte lange Zeit die chirurgische Standardtherapie des lokalisierten Prostatakarzinoms dar. Im letzten Jahrzehnt hat eine Abkehr von offenen hin zu minimalinvasiven, endoskopischen und roboterassistierten Verfahren stattgefunden. Dies liegt begründet in einem geringeren Zugangstrauma mit geringeren Schmerzen, geringerem Blutverlust und besserer Visualisierung des OP-Feldes, welche die anfänglichen Vorteile der offenen Verfahren, wie geringere OP-Zeit, chirurgische Versatilität und eine flachere Lernkurve kompensiert haben.

Was hat zu dieser Entwicklung beigetragen? Optische Weiterentwicklungen und ergonomischere Positionen sind auch in der konventionellen Endoskopie auf dem Vormarsch und werden zunehmend Einzug finden. Gerade aus diesen Gesichtspunkten ist das seit einem Jahrzehnt in sich stimmige Da-Vinci-Konzept von Vorteil, das weltweit eine Abkehr von der endoskopischen radikalen Prostatektomie (ERP) hin zur roboterassistierten radikalen Prostatektomie (RARP) erkennen lässt. Diese Entwicklung ist am deutlichsten in den USA, da hier die RARP die endoskopische radikale Prostatektomie mit einem Restanteil von unter einem Prozent praktisch verdrängt hat. Die offene radikale Prostatektomie (RP) wird noch zu 20 % durchgeführt. Somit gilt die roboterassistierte radikale Prostatektomie als der derzeitige Standard mit einem Anteil von ca. 80 % aller radikalen Prostatektomien, trotz eines Mangels an prospektiven oder randomisierten Studien.
Die von der Industrie und manchen RARP-Zentren ausgehende patienten­orientierte Werbung hatte und hat zweifellos noch immer einen entscheidenden Einfluss auf die weltweite Verbreitung des Da-Vinci-Systems. Dennoch, das Da-Vinci-­System hat sich schließlich nur aufgrund zumindest gleichwertiger onkologischer Ergebnisse in dieser Form durchsetzen können. Der geringere Blutverlust sowie die geringere Schmerz­symp­tomatik und kürzere Kranken­haus­verweil­dauer bei tendenziell besseren funktionellen Ergebnissen und teilweise berichteten geringeren positiven Absetzungsrändern haben zu einer konsolidierten Verbreitung der Roboterchirurgie in den USA und zunehmend in Europa geführt.

RARP-Technik vs. herkömmliche endoskopische Verfahren

Die Vorteile der RARP gegenüber dem konventionell endoskopischen Vorgehen liegen in der OP-gebietsnahen freieren Beweglichkeit der Instrumente mit 540° Rotation und 180° Artikulation; ein Vorteil, insbesondere bei engen anatomischen Verhältnissen, wie sie in der Anastomosenregion oder im Verlauf der Nervenerhaltung vorkommen können. Hinzu kommen die dreidimensionale Sicht, verbessertes 3-D-HD-Bild (1080i), 10–40-fache Vergrößerung sowie Tremor­­unterdrückung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ergonomische, sitzende Arbeitsposition des Operateurs, die auch mehrere Eingriffe nacheinander ermöglicht.

Patientenselektion und Op-Methode

Aktuelle Untersuchungen des Pasadena Consensus Panels auf Grundlage eines systematischen Reviews2 ergaben, dass die RARP im Vergleich zur RP bei Patienten mit klinisch lokalisiertem PCa onkologisch gleichwertig ist. Ein Vorteil für die RARP bestand in Bezug auf Kontinenz und Potenzerhaltung. Ebenso zeigte sich in einem Metaanalyse-Update von Ficarra et al. erstmals ein statistisch signifikanter Vorteil in der Kontinenzerhaltung nach 12 Monaten für die RARP im Vergleich zur RP und ERP3. Die RARP bietet im Vergleich zur RP geringere Transfusionsraten und kürzere Krankenhausaufenthalte bei vergleichbaren postoperativen Komplikationsraten. Wie auch bei der RP sind sowohl die Erfahrung des Operateurs als auch das OP-Volumen der jeweiligen Institution entscheidende prädiktive Faktoren für bessere Ergebnisse in allen Bereichen2. Erwähnt werden muss jedoch, dass insgesamt ein Mangel an guten kontrollierten prospektiven Studien in Bezug auf funktionelle Ergebnisse besteht. Für eine bessere Vergleichbarkeit sollten zukünftige Studien auf Basis der vom Pasadena Consensus Panel publizierten „best practice guide­lines“ durchgeführt werden.

Onkologische Ergebnisse

Langzeitdaten über biochemische Rezidive sind aufgrund der Tatsache, dass nur wenige Zentren seit mehr als 5 Jahren roboterassistierte Eingriffe durchführen, spärlich vorhanden. Verfügbare nichtrandomisierte vergleichende Studien konnten keinen Unterschied im biochemisch rezidivfreien Intervall (BCR) zwischen RARP, RP und ERP feststellen. Die detailliertesten verfügbaren RARP-Serien berichten über BCR-freie Intervalle von 95,1 %, 90,6 %, 86,6 %, und 81,0 % nach 1, 3, 5 und 7 Jahren, (mediane Nachbeobachtung: 5 Jahre)4, 5. Das Pasadena Consensus Panel bewertet die RARP nach gegenwärtiger Evidenzlage äquivalent zur radikalen retropubischen Prostatektomie in Bezug auf das BCR-freie Überleben2.
Randomisiert kontrollierte Studien, welche die Prävalenz positiver Absetzungsränder nach RP, ERP und RARP vergleichen, fehlen. Die verfügbare Evidenz nichtrandomisierter vergleichender Studien legt aber nahe, dass diese, unabhängig des verwendeten Verfahrens, keine Unterschiede aufweisen6. Positive Absetzungs­ränder aller Verfahren liegen zwischen 11 %–38 % nach RP, 12 %–31 % nach ERP und 9 %–29 % nach RARP7.
Die wenigen Daten über biochemische Rezidive nach RARP in High-Volume-Zentren sind vielversprechend, aber abschließende Vergleiche sind noch nicht möglich. Dies gilt auch für das karzinomspezifische Überleben. Hier sind längere Nachbeobachtungszeiträume nötig.

Kontinenz/Potenzerhaltung

Die Prävalenz der Harninkontinenz nach RARP ist abhängig von präoperativen Patientencharakteristika, operativer Erfahrung, chirurgischen Techniken und investigativer Methodik, wie z. B. Nachbeobachtungszeiträumen und Definition der Harninkontinenz. Ein systematischer Review von Ficarra et al. ergab eine 12-Monate-Inkontinenzraten von 4 % bis 31 % ohne Vorlage bzw. 8 % bis 11 %, wenn Patienten mit 1 Sicherheitsvorlage eingeschlossen wurden3. Nach nervenerhaltender RARP betrugen die Raten an erektiler Dysfunktion nach 12 Monaten 10 % bis 46 % und nach 24 Monaten 6 % bis 37 %8. Problematisch ist der Vergleich zu früheren offenen oder endoskopischen radikalen Prostatektomieserien aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns, verschiedener Definitionen und fehlender Standardisierung in der Erhebung von Kontinenz und erektiler Dysfunktion. Das Pasadena Consensus Panel empfiehlt eine Evaluierung der Potenz nach 1, 3, 6, 9 und 12 Monaten postoperativ und anschließend jährlich mittels validierter Fragebögen. Inkontinenz- und Potenzdaten sollten routinemäßig bei allen Patienten erhoben und die Ergebnisse Patienten zugänglich gemacht werden.

Komplikationen

Novara et al. untersuchten in einer Metaanalyse perioperative Ergebnisse und Komplikationen nach RARP9. Kumulative Analysen konnten zeigen, dass Blutverluste und Transfusionsraten der RARP signifikant niedriger als die der RP waren. Die Transfusionsraten waren ebenfalls im Vergleich zur ERP geringer. Eine potenzielle RARP-spezifische Komplikation ist ein technischer Defekt des Systems. Dies tritt jedoch selten, bei 34 von 8.240 berichteten Fällen (0,4 %) auf10–12.

Kosten

Die Entwicklung hin zu minimaler Invasivität ist verbunden mit einem höheren technischen Aufwand und damit einhergehenden höheren Kosten. Eine Kostenanalyse von Siemer et al. ergab bei 200 zugrundegelegten RARP pro Jahr Vorhaltekosten von 2.000 Euro/OP zuzüglich Verbrauchskosten von 1.500 Euro/OP. Der zusätzliche RARP-Kostenaufwand für dieses Modell beträgt somit ca. 3.500 Euro pro Eingriff13. In den USA betragen die zusätzlichen Kosten für Material und zusätzliche OP-Zeit USD 2200 pro RARP, zu denen – je nach Kapazitätsausnutzung – allerdings noch USD 400– USD 4.800 Anschaffungs- und Wartungskosten addiert werden müssen14. Zurzeit besteht die Möglichkeit, diese Mehrkosten in einer Fallzahlerhöhung mit maximaler Kapazitätsausnutzung und Senkung der Wartungskosten pro Eingriff zu relativieren. Eine tatsächliche Kostenreduktion kann nur mittels einer Senkung der Krankenhausverweildauer sowie der Krankheitsdauer einschließlich geringerer perioperativer Morbidität mit früherer Rückkehr in das Arbeitsleben erreicht werden. Die Zahl des ärztlichen OP-Teams von drei auf zwei bzw. sogar nur einen, wie an vereinzelten Zentren üblich, ist ein kaum beachteter Schritt zur Kostenwahrheit.
Eine besondere Vergütung für den Einsatz von Robotersystemen steht bisher nicht in Aussicht. Daher greifen manche Zentren auf eine Rückvergütung der Mehrkosten durch den Patienten zurück.
Man mag argumentieren, dass die Kosten einer RARP für das Gesundheitssystem vernachlässigbar seien im Vergleich zu anderen Therapien des lokalisierten Prostatakarzinoms wie die „intensity-modulated radiation therapy“ (IMRT), „proton beam therapy“ (PT) und „stereotactic body radiation therapy“ (SBRT) mit Behandlungskosten zwischen USD 21.000–USD 65.00015. Das trifft jedoch nicht den Kern des Kostendilemmas, denn alle Therapiemodalitäten des Prostatakarzinoms, einschließlich Active Surveillance oder neuer Immuntherapien mit Kosten von über USD 100.000 pro Patient16 werden früher oder später hinsichtlich ihrer Kosteneffizienz bewertet werden müssen.

QALY: Ein Maßsystem hierfür stellen die Kosten pro qualitätsbereinigtem gewonnenem Lebensjahr (QALY) dar. Solche Systeme werden bereits in Großbritannien (National Institute for Health and Clinical Excellence)17 und den USA (Patient Protection and Affordable Care Act)18 als Entscheidungshilfe für die Deckung und das Angebot von Gesundheitsleistungen eingesetzt. In Europa werden sich Entscheidungsträger zunehmend für die Vergütung von Gesundheitsleistungen an evidenzbasierten Daten orientieren und beurteilen, inwieweit neue innovative Therapien wie die RARP einen Wert für die Gesundheitsversorgung darstellen. Bemühungen um qualitativ hochwertige multizentrische, randomisierte Studien, die eine überlegene Wirksamkeit der RARP zeigen könnten, tragen diesem Umstand Rechnung. Dennoch ist bereits in näherer Zukunft mit einer zunehmenden Flächendeckung roboterassistierter Systeme zu rechnen. Ob es sich dabei um das seit über 10 Jahren mehrfach weiterentwickelte, ausgereifte und in sich abgestimmte Da-Vinci-System oder um Konkurrenzprodukte handelt, wenn die Patentbindung 2014 ausläuft, bleibt abzuwarten.

 

1 Heidenreich A et al., Eur Urol 2011; 59:61–71

2 Montorsi F et al., Eur Urol 2012; 62:368–81

3 Ficarra V et al., Eur Urol 2012; 62:405–17

4 Menon M et al. Eur Urol 2010; 58:838–46

5 Suardi N et al., Urology 2012; 79:133–8.

6 Novara G et al., Eur Urol 2012; 62:382–404

7 Yossepowitch O et al., Eur Urol 2009; 55:87–99

8 Ficarra V et al. Eur Urol 2012; 62:418–30

9 Novara G et al., Eur Urol 2012; 62:431–52

10 Lavery HJ et al., J Endourol 2008; 22:2165–8.

11 Borden LS Jr et al., Can J Urol 2007; 14: 3499–501.

12 Andonian S et al., Can J Urol 2008; 15:3912–6

13 Siemer S, Stöckle M, Urologe A 2011; 50(8):928–31

14 Barbash GI, Glied SA, NEJM 2010; 363:701–4

15 Parthan A et al., Frontiers in Oncology 2012; 2:81

16 Goozner M, J Natl Cancer Inst 2011; 103:288–9

17 Shah K et al., Health Serv Res Policy 2012; 17(3):157–63. Epub 2012 Jul 5.

18 Oberlander J, NEJM 2012 Aug 16; 367(7):585–90.