Gastroenterologie

Vor mehr als 100 Jahren hat Ilja I. Metschnikow das Konzept entwickelt, dass verschiedene Darmbakterien unterschiedliche Einflüsse auf den Menschen bzw. dessen Gesundheit haben können, wobei er Laktobazillen und Bifidobakterien eine positive, proteolytischen Bakterien aber eine eher negative Wirkung zugeschrieben hat. Dies beruhte auf den Beobachtungen von sehr hohem Lebensalter bei Personen, die in Bulgarien traditionellerweise ein Leben lang Joghurt konsumierten.

Metschnikow erhielt 1908 den Nobelpreis. Ein weiterer Pionier auf dem Gebiet der Probiotika war Minoru Shirota in Japan, der vor etwa 70 Jahren den Laktobazillus-stamm entdeckte und weiterentwickelte, den jetzt die Firma Yakult in ihren Produkten verwendet. Darüber hinaus hat Alfred Nissle zur Zeit des Ersten Weltkrieges jenen Escherichia-coli-Stamm identifiziert, der offensichtlich gegen infektiöse Enteritis und Diarrhö schützt.

Rege Forschungsaktivität

Probiotika (abgeleitet von den griechischen Wörtern „pro“ und „bios“ bedeutet der Begriff „für das Leben“) sind als lebende, nichtpathogene Mikroorganismen definiert, die, in ausreichender Zahl verabreicht, einen präventiven oder therapeutischen Effekt auf den Makroorganismus haben, ihm also einen gesundheitlichen Nutzen bringen. Laktobazillen und Bifidobakterien sowie E. coli Nissle sind hier von besonderer Bedeutung.

Das Interesse an den Probiotika ist in der letzten Zeit auch deshalb so stark gestiegen, weil insgesamt die Bakterienwelt in unserem Darm, die so genannte Mikrobiota (früher auch als Darmflora bezeichnet), zu einem sehr interessanten Forschungsgebiet geworden ist. Dass wir zehnmal mehr Bakterien in unserem Körper haben als menschliche Körperzellen, ist eine faszinierende Tatsache.

Die Erfassung der Bedeutung der Koexistenz von Darmbakterien (auch als Kommensale bezeichnet; commensale (lateinisch) = gemeinsam am Tisch sitzen und essen) und Mensch und ihrer Bedeutung für die menschliche Gesundheit hat in der jüngeren Vergangenheit eine rege Forschungsaktivität ausgelöst. Das National Institute of Health hat 150 Millionen Dollar für die Erforschung der Mikrobiota zur Verfügung gestellt, und auch die EU hat bereits mehrere Millionen für entsprechende wissenschaftliche Projekte bewilligt.

Genetischen Fingerabdruck erfassen

In den letzten Jahren hat es eine Reihe von faszinierenden Beobachtungen in Hinblick auf die Mikrobiota und deren Einfluss auf unsere Gesundheit gegeben. Einen bedeutenden Grundstein in der Forschung rund um die Mikrobiota haben Analysemethoden gelegt, mit denen der genetische Fingerabdruck der Bakterien erfasst und somit ein vollständiges mikrobiologisches Profil erstellt werden kann (nur etwa 20% der Bakterien können mit herkömmlichen Kulturmethoden identifiziert werden). Wenngleich über 500 verschiedene Bakterienspezies im menschlichen Darm zu finden sind, so gibt es weltweit dennoch lediglich drei so genannte Enterotypen (mit vorwiegend Bacteroidetes, Prevotella oder Ruminococcus), denen jeder Mensch zugeordnet werden kann. Beobachtungen, dass Übergewichtige eine andere Mikrobiota haben (mehr Firmicutes) als normalgewichtige Personen, geben Anlass für weitere Spekulationen.

Dass sich die Gehirn-Darm-Achse zum Teil über die Mikrobiota abspielen kann, erlaubt ebenfalls eine neue Betrachtung der Meinung von Psychiatern vor ca. 100 Jahren, dass Bakterien im Darm auf den Geisteszustand einen Einfluss haben. Damals hat man allerdings von „Selbstvergiftung“ gesprochen und regelmäßiges Abführen empfohlen. Diese – nach unseren heutigen Erkenntnissen wohl ein Fehlkonzept darstellende – Ansicht lebt auch heute noch, z.B. bei gewissen Trinkkuren weiter. Die Mikrobiota wird durch abführende Maßnahmen nachweislich verändert, wahrscheinlich aber nicht günstig, da die Diversität der Bakterien vermindert wird. Allerdings kann sie sich auch bei kompletter Darmreinigung (z.B.: Lavage für Dickdarmspiegelung) durch an der Darmwand anhaftende Bakterien nach wenigen Tagen wieder voll regenerieren.

Mit Probiotika Mikrobiota verbessern

Viele nützliche Stoffwechselprodukte wie z.B. kurzkettige Fettsäuren zur Ernährung der Darmepithelzellen sowie antineoplastische und antiinflammatorische Wirkungen der Mikrobiota werden immer genauer erforscht. Werden Antibiotika verabreicht, entstehen vielfach Lücken in der Mikrobiota, wodurch sich ungünstige Keime (z.B. Clostridium difficile) im Darm ansiedeln und Beschwerden auslösen können. In diese immer bessere Erforschung der Mikrobiota passt natürlich die Idee, die der Mensch schon immer hatte, nämlich die Natur verbessern zu wollen.

Wir veredeln Obstbäume und stellen in vielen Teilen der Welt gentechnisch modifiziertes Getreide her, das gegen Schädlinge resistent ist und höhere Erträge liefert. Probiotika sollen also die Mikrobiota verbessern. Dabei muss man bei Probiotika natürlich unterscheiden, ob es sich um angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder zugelassene probiotische Medikamente (z.B. E.-coli-Nissle- oder Saccharomyces-boulardii-Präparate) handelt. Für Letztere ist Evidenz notwendig, die, wie für andere Medikamente, aus randomisierten, kontrollierten Studien oder zumindest von Metaanalysen stammt.

Aufgrund der stammspezifischen Wirkung von Probiotika muss man also immer genau schauen, welche konkreten probiotischen Stämme in einem Präparat enthalten sind und welche Evidenz dafür vorliegt.

Systemische Wirkungen

Ein positiver therapeutischer Effekt von Probiotika konnte bereits für eine Reihe von Erkrankungen gezeigt werden. Im gastroenterologischen Bereich zählen hierzu die Erhaltung der Remission bei Colitis ulcerosa, die Behandlung der Pouchitis, der antibiotikaassoziierten Diarrhö und des irritablen Darmsyndroms. Von großem Interesse in Hinblick auf Probiotika sind, neben deren Effekten auf den Verdauungstrakt, insbesondere auch periphere bzw. systemische Wirkungen.

Durch dendritische Zellen in der Darmwand werden immunologische Signale aus dem Darm in den Körper weitergeleitet, wodurch entsprechende Antworten ausgelöst werden können. Für Probiotika wurde z.B. gezeigt, dass Infekte des oberen Respirationstraktes günstig beeinflusst werden können, dass der Antikörpertiter nach Grippeimpfung höher ansteigt als ohne probiotische Intervention und dass bei Risikokindern, wenn frühzeitig gegeben, weniger Atopie und vermutlich auch weniger Asthma auftritt.

Für die Zukunft stellt die Mikrobiota einen vielversprechenden Ansatzpunkt für Therapien dar. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat ergeben, dass unsere Gene für etwa 3.000 Proteine kodieren, die Ansatz für eine Therapie sein können. Würden wir unsere Therapie über die Mikrobiota steuern, so würde das genetische Material der Mikroorganismen etwa hundertmal mehr Ansatzpunkte erlauben. Dies könnte für die Zukunft durchaus von Bedeutung sein.