Schmerz II

In den vergangenen zehn Jahren wurde das Verständnis der Differenzierung verschiedener Schmerzarten sehr vorangetrieben. Früher wurde bei den Definitionen nozizeptiver und neuropathischer Schmerz verglichen, heute bedient man sich des Terminus „mixed pain“ für Überlappungen der beiden, was natürlich wieder therapeutische Konsequenzen hat. Daraus entwickelten sich die quantitativ-sensorische Testung und die verschiedenen Subspezifitäten des neuropathischen Schmerzes.

Entwicklung neuer Schmerzsubstanzen

Neue Schmerzsubstanzen wurden entwickelt, fanden aber leider nur sehr selten den Weg zum Patienten, z.B. aufgrund von Erstattungsschwierigkeiten. Zu erwähnen ist die Einführung von Pregabalin (Lyrica®) in der Behandlung neuropathischer Schmerzen und die Akzeptanz von Morphinen in der Behandlung von nichttumorassoziierten Schmerzen.

Der Einsatz von ultrakurzwirksamen Opioiden wie Fentanyl als Spray oder als Tablette (Actiq®, Effentora®) gegen Durchbruchschmerzen kam etwas aus dem Zwielicht. Diese Substanzen haben sich zwar im klinischen Bereich durchgesetzt, nicht jedoch so sehr im praktischen Bereich, wo es noch immer Vorurteile gibt.

Das Gleiche gilt für die Cannabinoide, die immer mehr bei Phantomschmerzen oder Tumorschmerzen eingesetzt werden, aber wieder eher nur in ausgewählten Spezialzentren. Im onkologischen Bereich hat man sehr in den supportiv-therapeutischen Bereich hineingewirkt – Prophylaxe von Nebenwirkungen, frühzeitige Rehabilitation, palliative Maßnahmen.

Bei lumbalen Stenosen und Laminektomiesyndromen können wir heute mit der Spinal-Cord-Stimulation, den epiduralen und intra-thekalen Morphiumpumpsystemen arbeiten.

Auch Ziconotid (Prialt®) kam als neue Substanz dazu, was sicher für einzelne Patienten einen Durchbruch dargestellt hat.

In den kopfschmerztherapeutischen Bereichen ist man invasiver geworden – z.B. mit der okzipitalen Nervenstimulation bei der Behandlung von therapierefraktären Migränezuständen und Clusterkopfschmerzzuständen. Dann gab es als Innovation das Botulinumtoxin in der Behandlung der chronischen Migräne. Eine weitere vielversprechende Option im Kopfschmerzbereich ist Boswellia serrata.

Zu erwähnen sind auch die neuen topischen Applikationen wie Capsaicin (Qutenza®) oder Lidocain (Versatis®) bei Neuropathien.

Den Komorbiditäten bzw. deren notwendiger Therapie wurde immer mehr Bedeutung beigemessen.

Seit der Arbeit von Gilron wissen wir, dass Kombinationstherapien notwendig sind – was wir in unserem tagtäglichen schmerztherapeutischen Handeln tun.

Bei den retardierten Morphinen geht es nicht in Richtung deutlicher Innovationen, sondern um Verbesserungen, wie bei Targin® (Oxycodon und Naloxon). Dessen Einführung hat – auch wenn das vom Hauptverband anders gesehen wird – mit sich gebracht, dass wir auch die Nebenwirkungen von Medikamenten stärker im Bewusstsein haben. Mit dieser Kombination kann die Obstipation oder sogar ein Darmverschluss unter Morphintherapie verhindert werden.

Ein großer Schritt war auch das regulative Einführen von Schmerzskalen.

Eine wirkliche Innovation ist Tapentadol, ein Analgetikum mit einem besonderen Wirkmechanismus, nämlich dass es mit dem µ-Rezeptor-Agonismus und der Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung synergistisch zu einer Schmerzlinderung beitragen kann.

Die invasive Schmerztherapie und die Weiterführung von Devices werden vermutlich einen noch höheren Stellenwert bekommen.

Pharmakogenetik in Zukunft immer wichtiger

Wichtig in der nächsten Zeit wird die genetisch-medikamentöse Therapie sein – Schlagwort Pharmakogenetik. Die genetischen Analysen und die Subgruppenanalysen werden zunehmend eine tragende Rolle spielen. Das kennen wir schon vom Tramadol, auf das gewisse Patienten nicht ansprechen, weil sie am Genlokus nicht das Abbauprodukt haben, auf welches das Tramadol anspricht.

Was sich für uns alle verändert hat, ist das Verständnis um den Schmerz, um die Entstehungsmechanismen, um die Individualität des Schmerzes, um die Kombinationstherapie, um die Vielfalt der therapeutischen Möglichkeiten und der individuellen Schmerztherapie.