Analgesie an der Tara: Acetylsalicylsäure

Acetylsalicylsäure, kurz ASS genannt, nimmt unter den NSAR einen Sonderstatus ein und ist zugleich das älteste im Gebrauch stehende synthetische Schmerzmittel. Trotz der einfachen Molekülstruktur verfügt ASS über ein breites Indikationsspektrum, das von trivialen Erkältungsbeschwerden über Kopfschmerz und Migräne, Bypasschirurgie, Reinfarktprophylaxe bis zum seltenen Kawasaki-Syndrom reicht. Im Mittelpunkt dieses Berichtes stehen die rezeptfreien Indikationen samt Grundlagen.

Chemie

ASS ist das Acetylierungsprodukt von o-Hydroxybenzoesäure (Salizylsäure) mit protoniertem Essigsäureanhydrid. Die Löslichkeit in kaltem Wasser ist nur mäßig. Daher wurden zur Beschleunigung der Auflösung auch Magnesium- und Kalziumsalze in die Therapie eingeführt. Eines davon ist „Carbasalat-Kalzium“, eine Mischung von Ca-ASS mit Harnstoff, das leicht löslich ist und in der dann freie Azetylsalizylsäure vorliegt, die bereits im Magen fast vollständig resorbiert wird.

Wirkweise

ASS ist ein irreversibler Hemmstoff der Zyklooxygenase und besitzt eine gewisse COX-1-/COX-2-Selektivität, da COX-1 etwa 150-fach stärker gehemmt wird. Im Gegensatz zu anderen NSAR hemmt ASS (und Salicylate) das Entzündungsgeschehen durch den anschließend beschriebenen Mechanismus zusätzlich: Entzündungsprozesse werden auf molekularer Ebene über den zellulären Kinasekomplex IKK eingeleitet, der seinerseits einen Komplex aus dem Transkriptionsfaktor NF-Kappa-B und den inhibitorischen Proteinen I Kappa B aufspalten kann. Nur nach dieser Spaltung ist der Transkriptionsfaktor in der Lage, in den Zellkern zu gelangen und dort inflammatorische Gene zu aktivieren. ASS Spaltung des Komplexes zwischen Transkriptionsfaktor und inhibitorischen Proteinen und damit die Genexpression.

Aus ASS entstehendes Salicylat hat, bis auf die Thrombozytenaggregationshemmung, ein ähnliches Wirkprofil (obwohl es lediglich ein schwacher Zyklooxygenase-Hemmstoff ist), sodass eine klare Unterscheidung von ASS-Wirkung und Salicylsäurewirkung nicht möglich ist.

Pharmakokinetik

ASS flutet nach oraler Gabe rasch an. Die Zeit bis zur Erreichung der maximalen Plasmakonzentrationen (tmax) ­beträgt bei oraler Gabe 10–60 Minuten.

Plasmaproteinbindung

Konzentrationsabhängig: In niedriger Konzentration sind 80–85%, in hoher 50% der ASS an Plasmaproteine gebunden.

Halbwertszeit (HWZ)

Da die Eliminationsgeschwindigkeit kleiner ist als die Resorptionsgeschwindigkeit (bezogen auf das Gesamtsalizylat), besteht generell Kumulationsgefahr.

ASS hat eine HWZ von nur 15–20 Minuten, Salicylsäure in Dosen zwischen 500 mg und 1000 mg ASS von 2–4 Stunden.

Resorptionsquote

oral ca. 80% bis 100%

Bioverfügbarkeit

oral etwa 50% bis 70%

Liquorgängigkeit

Salicylsäure ist im Liquor nachweisbar.

Metabolismus

präsystemische Hydrolyse der ASS zu Salicylsäure durch Esterasen der gastrointestinalen Mukosa und der Leber.

Biotransformation von ASS bzw. Salicylsäure in vielen Geweben und Flüssigkeiten, vor allem in der Leber.

Ausscheidung

Der Haupteliminationsweg führt über die Niere.

Dosierung

peroral: Für Erwachsene sind Tagesdosen von 1,5 bis 3 g ASS pro Tag zugelassen, verteilt auf bis zu 3 Einzeldosen zu je 0,5–1 g im Intervall von 4–8 Stunden. ASS wird bei abendlicher Einnahme (gegen 22:00 Uhr) in Bezug auf gastrointestinale Nebenwirkungen am besten vertragen, vorausgesetzt, man kann mit der Einnahme so lange zuwarten.

Art und Dauer der Anwendung

Feste orale Darreichungsformen werden nach den Mahlzeiten mit reichlich Flüssigkeit unzerkaut eingenommen.

Kautablette zur Anwendung ohne/mit Flüssigkeit dienen dem Erreichen eines schnelleren Wirkungseintritts (z.B. bei Migräne, Schmerzen allgemein), hier kann Flüssigkeit nachgetrunken werden. Zur Selbstbehandlung von Schmerzen und Fieber sollte ASS nicht länger als 3–4 Tage eingenommen werden.

Indikationen und Anwendergruppen

ASS ist ein Schmerzmittel für alle Altersgruppen gegen leichte bis mäßig starke Schmerzen wie Zahn-/Kopfschmerzen, Migräne, Regelbeschwerden, Prellungen, Verstauchungen, rheumatische Gelenkschmerzen, Fieber, Hals- und Ohrschmerzen. Rezeptfrei steht es für Kinder ab dem 12. Lebensjahr zur Verfügung.

Anwendungseinschränkungen

ASS soll bei Kindern und Jugendlichen mit fieberhaften Erkrankungen wegen des möglichen Auftretens eines Reye-Syndroms nur gegen Rezept abgegeben werden. Die rezeptfreie Anwendung ist auf Kinder > 12 Jahre beschränkt.

Im dritten Trimenon einer Schwangerschaft darf ASS nicht angewendet werden.

Warnhinweise und Nebenwirkungen

Bei Patienten mit rezenten Magen-/Darmulzerationen und solchen mit gastralen Beschwerden sowie bei eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion oder Herzinsuffizienz ist eine ärztliche Begleitung der Behandlung erforderlich.

Blutungen: Sie können im Zusammenhang mit der ASS-Einnahme auftreten, wie z.B. Nasenbluten, Zahnfleischbluten, Hautblutungen, mit einer möglichen Verlängerung der Blutungszeit (hält bis 4–8 Tage nach der letzten Dosis an).

Bei Überempfindlichkeit gegen andere Analgetika/Antiphlogistika/Antirheumatika oder bei Bestehen von anderen Allergien (z.B. mit Hautreaktionen, Juckreiz Nesselfieber), bei Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Schwellungsneigung der Nasenschleimhaut oder chronischen Atemwegserkrankungen ist ebenfalls eine sorgfältige ärztliche Überwachung erforderlich.

 

Arzneimittelprofil in der Praxis

Bei der Abgabe von ASS-Präparaten sollte der Thrombozytenaggregationshemmung als substanzspezifische Zusatzwirkung Aufmerksamkeit geschenkt werden. ASS ist laut Wirkprofil für den rezeptfreien Einsatz im Erwachsenenalter geradezu prädestiniert. Zudem erleichtern die verschiedenen Arzneiformen die Anwendung unter unterschiedlichen Bedingungen. So haben Brausetabletten, lösliche Granulate und Tabletten den Vorteil eines beschleunigten Wirkeintritts, Kautabletten lassen sich unauffällig unterwegs oder im Büro ohne Wasser einnehmen. Für zu Hause reicht die konventionelle Tablettenform aus. ie Verträglichkeit von ASS in der Kurzzeitbehandlung ist ausreichend gesichert. Bei mehrwöchiger bis mehrmonatiger ASS-Einnahme ist ärztlich insbesondere auf gastrointestinale Blutungen zu achten, vor allem in Kombination mit SSRI und Vitamin-K-Antagonisten.

Wer profitiert von Acetylsalicylsäure?

ASS ist das bekannteste und am öftesten eingesetzte Analgetikum und bei gesunden Erwachsenen für den rezeptfreien Einsatz in löslicher oder fester Form mit und ohne Vitamin C prädestiniert.

ASS eignet sich zur Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen wie Migräne, Kopf-, Zahn- und Regelschmerzen, Prellungen, Gelenkschmerzen sowie grippalen Infekten mit Fieber und Begleitbeschwerden.

Die Kurzzeitanwendung in zugelassener Dosierung ist sicher. Bei Senioren muss das Blutungsrisiko, bei Kindern das potenzielle Reye-Syndrom-Risiko ärztlich abgewogen werden.