Nephropathie und Retinopathie bei pädiatrischem Typ-1-Diabetes

Bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes steht nicht die Therapie der mikro- und makrovaskulären Komplikationen der Hochrisikoerkrankung im Vordergrund, sondern deren Vermeidung durch konsequentes Screening und Therapie. Im Hinblick auf mikrovaskuläre Diabeteskomplikationen empfehlen Fachgesellschaften für pädiatrische Diabetologie dazu regelmäßige Laborkontrollen (Blutzucker, Blutdruck, Blutfette) sowie Erhebungen von Endorganschäden anhand von Albuminbestimmung und Fundusuntersuchung (Tab. 1). Das regelmäßige Nephropathie- und Retinopathie-Screening sollte ab einer Diabetesdauer von 5 Jahren oder aber ab dem 11. Lebensjahr im Jahresabstand erfolgen.

 

 

Dass die Empfehlungen im medizinischen Alltag nicht immer konsequent umgesetzt werden, zeigt die Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV). DPV ist ein EDV-basiertes Dokumentationssystem, in dem diabetesrelevante Patientendaten von 218 pädiatrischen Zentren in Österreich und Deutschland erfasst werden. Demnach wurden im Jahr 2011 bei ca. 70 % der Kinder und Jugendlichen unter 21 Jahren eine Augenuntersuchung und eine Albuminbestimmung durchgeführt und dokumentiert (Abb. 1).

 

 

Risikosenkung durch Schulung

Das Risiko, als Folge eines Typ-1-Diabetes eine Retinopathie oder Nephropathie zu entwickeln, konnte in den späten 1970er-Jahren dramatisch gesenkt werden. Exemplarisch zeigt dies die longitudinale Linköping Diabetes Complications Study (Nordwall et al., Diabetologia 2004), in deren Rahmen 269 Patienten mit Typ-1-Diabetes in den Jahren 1961 bis 1985 begleitet wurden. Dieser Therapieerfolg war Resultat eines damals eingeführten intensiven Patientenschulungsprogramms unter Mitarbeit eines Psychologen und eines Sozialarbeiters, durch das sich die Diabeteseinstellung deutlich verbesserte. In einer Nachanalyse erwies sich die Senkung des HbA1c als der einzige ausschlaggebende Faktor für die Verhinderung von Retinopathie und Nephropathie in diesem Kollektiv (Nordwall et al., Pediatr Dia­betes 2009).

Determinanten der Nierenschädigung

Die Beschäftigung mit der Bedeutung der transienten oder intermittierenden Mikroalbuminurie im Rahmen einer weiteren Analyse der DPV-Daten (Raile et al., Diabetes Care 2007) förderte zusätzliche mikrovaskulär relevante Risikofaktoren zutage: Bei 919 der 27.805 analysierten Patienten bestand eine Mikroalbuminurie, bei 52 eine Makroalbuminurie und bei 229 eine terminale Niereninsuffizienz (ESRD) mit Dialysetherapie oder Nierentransplantation.
Insgesamt zeigte sich ein verhältnismäßig günstiger Verlauf: Nach 40-jähriger Diabetesdauer entwickelten 25 % der Patienten eine Mikroalbuminurie und 10 % eine Makroalbuminurie oder eine ESRD. Lange Diabetesdauer, schlechte Blutzuckereinstellung (HbA1c > 7,5 % vs. ≤ 7,5 %; Abb. 2), Rauchen (Cut-off: > 1 Zigarette täglich), Hypertonie (95. Perzentile für systolischen und diastolischen Blutdruck der alters- und geschlechtsspezifischen Normalwerte) und Dyslipidämie (LDL-Cholesterin > 160 mg/dl, Triglyzeride > 150 mg/dl) begünstigten die Entwicklung einer Mikroalbuminurie, während ein langer präpubertärer Diabetesverlauf bei gleicher Diabetesdauer mit einem niedrigeren Risiko assoziiert war als ein kurzer präpubertärer Verlauf. Alle genannten Risikofaktoren mit Ausnahme der Hypertonie beeinflussten auch das Makroalbuminurierisiko. Dass sich die Hypertonie in diesem Punkt nicht als signifikanter Prädiktor erwies, dürfte auf die Erreichung niedriger Blutdruckwerte im Studienverlauf durch intensive antihypertensive Therapie zurückzuführen sein. Dies spiegelt sich in der verstärkten Anwendung besonders von ACE-Hemmern bei Patienten mit Makroalbuminurie oder ESRD wider.
Eine weitere Publikation der DPV-Studiengruppe (Hammes et al., Diabetologia 2011) zeigt darüber hinaus, dass auch die Retinopathie als Risikomarker für die Nephropathie von großer Bedeutung ist, wobei auch für die Retinopathie eine signifikante Assoziation mit Diabetesdauer, HbA1c-Einstellung und Raucherstatus gefunden wurde.
Auf die Frage nach den Auswirkungen einer unbehandelten Mikroalbuminurie in Hinblick auf eine Progression zur persistierenden Mikroalbuminurie bei Typ-1-Diabetikern und nach den relevanten Risikofaktoren fanden Galler et al. (Eur J Endocrinol 2012) eine überraschende Antwort. Das Team analysierte die DPV-Daten von Patienten mit Mikroalbuminurie im Alter unter 10 Jahren und einer Diabetesdauer von zumindest 12 Monaten; von den 33.998 Patienten in der DPV-Datenbank entsprachen 683 diesem Profil. Mit Ausnahme der Diabetesdauer erwies sich keiner der bekannten Risikofaktoren als signifikanter Prädiktor, dafür zeigte sich, dass Kinder aus Migrantenfamilien ein besonderes Risikokollektiv darstellen; so hatten Immigranten nach Adjustierung für weitere Faktoren ein signifikant höheres Risiko für die Progression der Mikroalbuminurie. Der pathogenetische Hintergrund dieses Zusammenhanges ist unklar. Möglicherweise tragen Ernährungsgewohnheiten, Lebensstil, sozioökonomischer Status und eventuell auch die genetische Konstellation dazu bei.

 

 

Risiko für Augen höher als für Nieren

Nach den Ergebnissen von Hammes et al. (Diabetologia 2011) ist das Risiko von Personen mit Typ-1-Diabetes, im Verlauf ihrer Erkrankung eine Retinopathie zu entwickeln, doppelt so hoch wie die Wahrscheinlichkeit für eine Mikro- oder Makroalbuminurie. Zudem schreitet eine leichte Retinopathie schon nach durchschnittlich 12,5 Jahren zu einer schweren Retinopathie fort. Wesentliche Risikofaktoren sind wiederum ein hohes HbA1c (Abb. 3) und Rauchen. Wie das Nephropathierisiko ist auch das Retinopathierisiko bei kurzem präpubertärem Diabetesverlauf gegenüber einem längeren präpubertären Verlauf erhöht. Hypertonie und Dyslipidämie erwiesen sich in der Analyse nicht als statistisch signifikante Risikofaktoren für die nichtproliferative Retinopathie, wohl aber für die schwere, proliferative Retinopathie.

 

 

Prävalenz von Risikofaktoren

Schwab et al. (Diabetes Care 2006) analysierten 27.358 DPV-Datensätze und fanden bei 42 % der Typ-1-Diabetiker HbA1c-Werte von > 7,5 %, bei 12 % eine Hypercholesterinämie und bei 9 % eine Hypertonie (> 95. Perzentile). 12,4 % der Patienten im Alter zwischen 12 und 16 Jahren waren Raucher, in der Altersgruppe der 17–26-Jährigen betrug der Raucheranteil bereits 35 %.
Alle diese Faktoren wären prinzipiell gut beeinflussbar, in der Realität sind die Therapieerfolge allerdings beschieden. So zeigen die DPV-Daten, dass die median erreichten HbA1c-Werte seit 15 Jahren annähernd konstant bei rund 8 % liegen. Weder die Einführung der Insulinanaloga noch die Insulinpumpentherapie haben daran Wesentliches geändert – den letzten großen Qualitätssprung bezüglich der Stoffwechseleinstellung brachte vor vielen Jahren die interdisziplinäre Betreuung mit Beginn einer intensivierten Patientenschulung.
Sozialstatus und Lebensstil haben einen wesentlichen Einfluss auf den HbA1c-Wert. Wie die Erhebung der Lebensgewohnheit der in der DPV-Datenbank erfassten Personen zeigt, ist schon regelmäßiger Medienkonsum (Computer oder Videospiele) im Ausmaß von einer Stunde täglich mit einer HbA1c-Erhöhung um 0,16 Prozentpunkte assoziiert (Galler et al., Diabetes Care 2011). Ein Versuch, die Lebensführung der Kinder und Jugendlichen zu beeinflussen, wäre daher durchaus sinnvoll, wenn auch schwierig.
Hinweise auf eine allfällige Hypertonie sollten anhand einer 24-Stunden-Blutdruckmessung bestätigt und der Blutdruck durch Lebensstilmodifikation und nötigenfalls antihypertensive Therapie (ACE-Hemmer) normalisiert werden. Auch in dieser Hinsicht sind die Chancen auf eine Lebensstilmodifikation in der Praxis gering.
LDL-Cholesterinwerte weisen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes eine sehr starke Variabilität auf. Hohe Werte im Rahmen einer Stoffwechselkrise lassen sich durch entsprechende Blutzuckerkontrolle normalisieren. Die Notwendigkeit einer Lipidtherapie bei Kindern und Jugendlichen wird kontroversiell diskutiert. Eine Indikation besteht jedenfalls in Hochrisikofamilien, wenn ein Verwandter vor dem 55. Lebensjahr ein kardiovaskuläres Ereignis erlitten hat. Die American Diabetes Association (Diabetes Care 2013) empfiehlt in diesem Fall, dass möglichst früh nach Diagnosestellung ein Dyslipidämie-Screening erfolgen sollte. Bei unauffälligem Befund sollte im 5-Jahre-Intervall kontrolliert werden. Bei LDL-Cholesterinwerten von > 130 mg/dl sollte versucht werden, mit Lebensstilmodifikation einzugreifen, bei Kindern über 10 Jahren und LDL-Werten > 160 mg/dl (bzw. > 130 mg/dl und zumindest einem kardiovaskulären Risikofaktor) wird eine Statintherapie empfohlen. Ziel ist ein LDL-Cholesterinwert < 100 mg/dl. Noch gibt es allerdings keine Daten, die den Nutzen einer frühzeitigen Statintherapie belegen. Patienten ab dem 16. Lebensjahr sollten wie erwachsene Typ-1-Diabetiker behandelt werden. Zur Therapie des jungen Typ-1-Diabetikers bedarf es gemeinsamer Guidelines von Pädiatern und Internisten.