Sport bei Typ-1-Diabetes: Prognostischer Stellenwert und Umsetzung im Alltag

Körperliche Aktivität und Sport sind Bestandteile eines gesunden und erfüllten Lebensstils. Gerade für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ist es wichtig, trotz ihrer Erkrankung eine möglichst normale Jugend zu haben. Daher sollten Eltern im „Team“ mit den medizinischen und schulischen Betreuern alles daran setzen, dem Kind die Möglichkeit zu geben, am Schulsport, gerne aber auch am Vereins- und bei Wunsch auch am Wettkampfsport teilzunehmen. Gerade Kinder treiben Sport nicht etwa aus gesundheitlichen Gründen, sondern werden durch Spaß, Spannung, Leistung, Erfolg, Können, Freundschaft, Kameradschaft und auch sportliches Aussehen motiviert.
Bei Patienten mit Diabetes wird die Freude am Sport durch einen Alltag getrübt, der von großer Planung geprägt ist, da die Nahrungszufuhr vor, während und nach dem Sport gut durchdacht und adäquat in Umfang und Zusammensetzung sein muss. Auch muss zu diesen Zeitpunkten mehrfach der Blutzucker kontrolliert werden, damit in Abhängigkeit vom angestrebten Trainingsumfang und der gewählten Intensität die Stoffwechsellage analysiert und darauf rechtzeitig reagiert werden kann. Je intensiver der Sport wird, desto mehr muss auf einen Ernährungsplan, geeignete Sportgetränke und Snacks, aber auch auf eine intelligente Verabreichung von Insulin geachtet werden. Wenngleich es hierzu Studien und Empfehlungen gibt, so wird jeder Sportler auch durch Ausprobieren herausfinden müssen, wie er sich optimal auf das bevorstehende Training bzw. den Wettkampf einstellen kann. Gelingt dies, so steht auch einer Sportkarriere nichts im Wege. Tatsächlich gibt es zahlreiche Weltmeister und Olympiasieger mit Typ-1-Diabetes.

Training bei Patienten mit Typ-1-Diabetes

Körperliches Training und idealerweise Sport zählen zu den Säulen der nichtmedikamentösen Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 (Weitgasser & Niebauer, Wien Klin Wochenschr 2012). Dabei bezeichnet „körperliche Aktivität“ jegliche Form der körperlichen Bewegung, die den Energiegrundumsatz durch einen zusätzlichen Energieverbrauch erhöht. Sport hingegen ist das gezielte, strukturierte Training.
Die Empfehlungen zum Trainieren (Tab.) basieren auf zahlreichen Studien, die wiederholt und überzeugend gezeigt haben, dass es durch körperliches Training zu einer Verbesserung der Stoffwechsellage, einer Steigerung der Insulinsensitivität, einer Verringerung von kardiovaskulären Risikofaktoren sowie geringerer Morbidität und Mortalität kommt (Niebauer &  Schuler, Z Kardiol 2001; Sixt et al., Dtsch Med Wochenschr 2004). Darüber hinaus ist eine gute körperliche Fitness mit einem besseren Wohlbefinden und einer besseren Lebensqualität assoziiert.

 

 

Vermeiden sportinduzierter Komplikationen

Patienten mit Typ-1-Diabetes können prinzipiell jedem Sport nachgehen, wobei das Hauptaugenmerk auf eine möglichst hohe Sicherheit für den Patienten gerichtet wird. Wenngleich bei Sportarten, wie z. B. Drachenfliegen bzw. Fliegen, Extremklettern, Fallschirmspringen oder Tauchen ein deutlich erhöhtes Risiko besteht, so werden auch diese Sportarten von Patienten mit Typ-1-Diabetes ausgeübt. Da es hier durch Hypoglykämien zu einer Eigen- und Fremdgefährdung kommen kann, müssen gerade diese Patienten besonders gut geschult werden und auf mögliche Komplikationen vorbereitet sein. Dabei sollte der Schwerpunkt auf einer Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen (Hypoglykämien, Ketoazidosen) liegen (Scherbaum & Haak, Diabetes und Sport. Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft 2008).

Hypoglykämie: Es muss gelernt werden, dass Hypoglykämien am wirkungsvollsten dadurch vermieden werden können, dass vor dem Sport weniger Insulin gespritzt wird als sonst üblich. Dies setzt jedoch voraus, dass schon im Vorhinein bekannt ist, wann und in welchem Umfang trainiert wird. Ist dies nicht möglich, so kann eine Hypoglykämie durch Kohlenhydratzufuhr gegebenenfalls vor, während oder nach dem Training vermieden werden. Regelmäßige Blutzuckerkontrollen sind unerlässlich. Auch darf nicht übersehen werden, dass es auch Stunden nach dem Sport durch eine Umverteilung der zirkulierenden Glukose in die Muskulatur zu Hypoglykämien kommen kann. Auch die nächtliche Hypoglykämie kann durch eine intelligente Zufuhr von geeigneten Kohlenhydraten vermieden werden.

Ketoazidose: Ein Nachweis von Ketonkörpern im Blut oder Urin findet sich bei vermehrter Fettoxidation in Folge eines absoluten Insulinmangels, Hungerzustands und v. a. mehrstündigen Ausdauerbelastungen. Findet sich ein positiver Ketontest nach Ausdauersport, so kann dies auch ein Hinweis auf eine normale Adaptation an die Ausdauerbelastung darstellen (Abb.).
Bei Hyperglykämie mit Glukosespiegeln über 250 mg/dl darf nicht trainiert werden, da es ansonsten zu einer Ketoazidose kommen kann. Erst wenn durch zusätzliches Insulinspritzen eine deutliche Verbesserung der Glukosespiegel erzielt wurde, kann mit dem Sport begonnen werden.

 

 

Mikroalbuminurie: Eine lediglich nach dem Sport auftretende Mikroalbuminurie wird im Wesentlichen als physiologisch angesehen. Diese kann selbst bei Gesunden durch einen Marathon bis auf das Achtfache erhöht sein, normalisiert sich aber in den folgenden Tagen. Das Ausmaß der Mikroalbuminurie lässt bei Typ-1-Diabetes durchaus auf die Qualität der Diabeteseinstellung rückschließen.

Anpassung der Insulintherapie

Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) der Deutschen Diabetes Gesellschaft empfiehlt, bei geplanter sportlicher Aktivität das Basalinsulin um 20–50 % und die Prandialdosis um 30–50 % zu reduzieren. Bei Ausdauersport im Ausmaß von mehr als 1–2 Stunden sollte die Prandialdosis um 25–80 % abgesenkt werden. Patienten mit Insulinpumpe sollten die Basalrate entsprechend absenken bzw. die Pumpe während des Sports ablegen. Nach intensivem Sport ist wegen des Muskelauffülleffekts bis zu 48 Stunden auf Hypoglykämien zu achten (Haak & Kellerer, Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft 2009).
Ein rezenter Literaturreview zur Insulintherapie während des Trainings bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (Toni et al., Acta Biomed 2006) gibt für lange Belastungen (> 4 h) eine Verringerung der Prandialdosis um 30–50 % an. Im Fall einer Tageswanderung kann gegebenenfalls zusätzlich das Basalinsulin am Vorabend um 50 % und auch am Folgeabend noch um 10–20 % reduziert werden. Während und nach dem Sport wird die Prandialdosis um 30–50 % reduziert. Ein intermittierend hochintensives Training bzw. Teamsport erfordert eine Reduktion der Prandialdosis um 70–90 %, wobei bei einer Spieldauer unter 60 Minuten gegebenenfalls keine Reduktion erforderlich ist.
Bei Patienten mit Insulinpumpentherapie wird empfohlen, den Prandialbolus zu reduzieren, wenn der Abstand zwischen Mahlzeit und Sport weniger als 1–3 Stunden beträgt. Die Basalinsulinrate sollte für die Dauer der Belastung um 50 % reduziert werden. Gegebenenfalls sollte die Reduktion bereits 30–60 min vor der Belastung initiiert werden, weil sich die Änderung der Basalinsulindosis üblicherweise mit einer Verzögerung von 2–3 Stunden auswirkt. Unter Umständen kann es angebracht sein, die Pumpe während des Sports abzustellen (Cave: System kann verstopfen) oder abzulegen. Über Nacht sollte das Basalinsulin um 10–30 % reduziert werden (Toni et al., Acta Biomed 2006).

Schlussfolgerungen

Möchte ein motivierter Diabetiker möglichst sportlich bleiben, so findet man nicht nur Unsicherheiten auf Seite der Lehrer und Trainer, sondern auch bei den Eltern und beim Diabetiker selbst. Durch eine gezielte Diabetikerschulung, die alle Beteiligten mit einschließt, sicher aber die Eltern und den Patienten im Fokus haben muss, wird der Umgang mit und das Vermeiden von Hypo- und Hyperglykämien gelernt. Bleiben infolgedessen solche Episoden aus bzw. werden diese erfolgreich gemeistert, so führt dies nicht nur zu einer Steigerung des Selbstvertrauens, sondern auch der Selbstständigkeit und Autonomie des Patienten, was ihn in die Nähe eines „normalen“ Lebens bringt und die Lebensqualität bedeutend verbessert. Gesundes und lebenslanges Sporteln leistet hierzu einen bedeutenden Beitrag.
Dabei sollte ein Training im submaximalen Bereich stattfinden: „Laufen, ohne zu schnaufen“, aber dennoch bei einer Intensität, die einen deutlich zum Schwitzen bringt. Empfohlen wird, das Training mit ca. 70 % der maximalen Herzfrequenz durchzuführen, wobei diese in einer maximalen Ergometrie ermittelt werden muss. Auf Tabellen oder durch Pulsuhren ermittelte Empfehlung ist kein Verlass, eine Unter- bzw. Überforderung vorprogrammiert, was eine Steuerung des Blutzuckers nahezu unmöglich machen und den Diabetiker unbegründet Gefahren aussetzen würde.
Ob nun Sport in Form von kontinuierlichem Ausdauer- oder aber Intervalltraining ausgeübt wird, bleibt jedem selbst überlassen. Den Vorzug sollte man allerdings den Ausdauersportarten, durchaus aber auch den Ballsportarten geben. Das Krafttraining erhält nicht nur beim Diabetiker zunehmende Bedeutung, ist aber gerade hier mit dem Argument „Muskel ist Insulin“ eine starke Säule des Trainings. Dieser Vergleich liegt darin begründet, dass die Muskulatur die Glukose aus dem Blut aufnimmt, sodass ein Mehr an Muskeln niedrigere Glukosespiegel und somit einen geringeren Bedarf an Insulin mit sich bringt.