Vorreiter im digitalen Mittelfeld: Österreich und seine elektronische Gesundheitsakte

Mit dem Digital Austria Act hat die Regierung ihre Ziele für die Digitalisierung definiert. Ein Schwerpunkt liegt dabei im Gesundheitsbereich und hier vor allem beim Ausbau der elektronischen Gesundheitsakte. Die Ärzteschaft ortet aber noch viel Reformbedarf.

Die elektronische Gesundheitsakte ELGA polarisiert auch 8 Jahre nach ihrem Start. Für die einen ist sie eine Plattform, mit der Österreich auch international ein Vorreiter war und die ausgebaut werden soll, für die anderen ist sie entweder ein Murks oder sogar eine Bedrohung. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) gehört zu ersteren – und das nicht nur berufsbedingt. Ihm schwebt vor, dass alle Gesundheitsdaten für Bürger:innen verfügbar sein sollen, sodass „niemand mehr ausgedruckte Röntgenbilder herumtragen“ müsse, skizzierte er zuletzt etwa beim Apothekerkongress vor dem Sommer. In den kommenden Jahren solle ELGA ausgebaut und von einer Datensammlung zu einer Datenbank werden. Befunde sollen standardisiert erfasst werden, und so soll beispielsweise ein Vergleich von Laborwerten über längere Zeit möglich sein. Die Vorarbeiten dazu laufen bereits.

Skepsis im Spital, Offenheit in den Ordinationen

Für andere, wie Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, ist ELGA nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Die elektronische Gesundheitsakte sei immer noch alles andere als eine deutliche Arbeitserleichterung, sagte er Anfang August bei einer Pressekonferenz. Ärzt:innen würden viel zu viel Zeit vor dem Computer mit der Suche von Befunden und weiteren Daten verbringen. Die Folge: „Umfragen unter Spitalsärzt:innen zeigen immer wieder, dass mehr als 70 % ELGA nicht als nützlich oder hilfreich wahrnehmen“, sagte Mayer. Denn in den Spitälern, aber nicht nur dort, sei Effizienz angesichts des Personalmangels und des hohen Patientenaufkommens ein wichtiges Gebot. Die Idee der elektronischen Gesundheitsakte sei richtig, sie müsse nur gut umgesetzt werden: „Wenn das handschriftliche Ausfüllen einer Patientendatei schneller und besser funktioniert als ELGA, dann stimmt etwas nicht“, sagte Mayer.


DOCTOR’S PERSPECTIVE

„In den Spitälern, aber nicht nur dort, ist Effizienz angesichts des Personalmangels und des hohen Patientenaufkommens ein wichtiges Gebot.“

Dr. Harald Mayer
Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer


Der steirische Hausarzt Dr. Alexander Moussa, der auch das Referat „eHealth in Ordinationen“ in der Österreichischen Ärztekammer leitet, ortet hingegen große Bereitschaft innerhalb der Ärzteschaft, was die Nutzung der elektronischen Gesundheitsakte betrifft. „Generell und auch durch die Erfahrungen der Pandemie ist in der Ärzteschaft die Bereitschaft zu Digitalisierung mehr als gegeben. Gerade auch Wahlärzt:innen wollen sich an der Digitalisierung beteiligen und mehrheitlich am e-Card-System teilnehmen. ELGA wird zwar nur sehr wenig bei Wahlärzt:innen verwendet, das Interesse wäre aber auch hier groß, sich aktiv zu beteiligen, wenn die Rahmenbedingungen passen.“ Knapp die Hälfte sagte in einer ÖÄK-Umfrage, dass sie positive Erfahrungen mit ELGA gemacht hätten, nur 32 % geben ein negatives Feedback, so Moussa gegenüber DigitalDoctor.

Neutrale Stelle für die Datenauswertung fehlt

Dr. Stefan Sabutsch, Geschäftsführer der ELGAGmbH skizziert im Gespräch mit DigitalDoctor die Ausbaupläne: „Es gibt mehrere Schritte, die wir machen müssen, um die Vollständigkeit und Nutzung zu stärken. Wir haben etwa noch nicht alle Gesundheitsdiensteanbieter an Bord – Wahlärzt:innen, Pflegeheime oder private Krankenanstalten. Auch bestehende Anwendungen wie den E-Befund wollen wir ausbauen und neue Anwendungen bringen. Derzeit arbeiten wir am Austausch von Ambulanzbefunden, das passiert erst kleinflächig – in drei Regionen. Hier sind die Krankenanstalten gefragt, sie müssen sich freiwillig dazu entscheiden. Auch wollen wir Bilddaten über ELGA verfügbar machen. Dazu gibt es derzeit 5 Pilotprojekte in Österreich, 2024 soll es breiter ausgerollt werden. Auch eine Impfpass-App ist in Planung. Dazu kommen Labordaten, ambulante Diagnosen, Patientenverfügungen, der Eltern-Kind-Pass und die Anbindung an den Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS).“ Was derzeit noch fehle, sei der gesamte niedergelassene Bereich, ergänzt ELGA-Kogeschäftsführerin Dr. Edith Bulant-Wodak: „Hier sind wir auf einem Weg in Richtung Diagnosendokumentation, wo man mit strukturierten Daten gut weiterarbeiten kann, damit alle ein umfassendes Bild haben.“ Auch Systempartner:innen würden ELGA als Mehrwert sehen und deshalb auch mehr an Funktionen fordern, betont sie: „Wir haben viele Daten in Österreich. Die Ziele müssen sein: schneller, besser und mehr bedienbar. Was fehlt, ist eine neutrale Stelle, welche die Daten anonymisiert, zusammenführt und auswertet. ELGA könnte hier helfen. Es wurde erkannt, dass es so eine Stelle braucht. Gespräche gibt es aber momentan nicht.“

Ähnlich argumentiert auch Sebastian Mörth vom Hersteller Medtronic: „Österreich ist bisher das einzige deutschsprachige Land, das über eine funktionierende elektronische Patientenakte verfügt – Opt-out-Lösung sei Dank. Im Digital-Health-Index finden wir uns trotzdem im Mittelfeld wieder. Schon vor der Pandemie überstieg die weltweite Nachfrage nach medizinischer Behandlung die Kapazitäten vieler Gesundheitssysteme.“ Es brauche also weitere Schritte, fordert er.