„Blickkontakt und Stimme haben eine größere Bedeutung.“

Interview mit Mag.a Britta Blumencron, Kommunikationsexpertin und -trainerin im Gesundheitswesen über die Besonderheiten des Arzt-Patienten-Gesprächs in einem telemedizinischen Setting
Digital Doctor: Nicht zuletzt im Zuge der COVID-19-Pandemie hat sich das Setting der Videokonsultation im Gesundheitsbereich zunehmend etabliert – vor allem Psychotherapeut:innen, aber auch immer mehr Ärzt:innen nutzen diesen Kommunikationsweg zu den Patient:innen. Gleichzeitig entwickeln sowohl die Sozialversicherung als auch private Krankenversicherer diesbezügliche Refundierungsmodelle. Wie sehen Sie als Expertin für Gesundheitskommunikation diesen Trend?
Blumencron: Corona war tatsächlich der Wendepunkt in der Telemedizin, weil der Nutzen digitaler Werkzeuge in der Medizin damit greifbarer geworden ist – sowohl für die Behandelnden als auch für die Patient:innen. Auch wenn wir uns die Daten aus Befragungen ansehen, so war die Pandemie ein Turbo für die Zustimmungswerte in der Bevölkerung für digitale Gesundheitsservices. Sie liegt mittlerweile bei etwa 70 % und mehr. Meiner Ansicht nach ist das gesamte Spektrum telemedizinischer Anwendungen eine sinnvolle Erweiterung sowohl der ärztlichen als auch der therapeutischen Behandlungskompetenz und auch des Angebotes für die Patient:innen – also eine echte Win-win-Situation. Allerdings ist mir wichtig zu betonen, dass wir auf keinen Fall auf die etwas 30 % der Patient:innen vergessen dürfen, die sich mit einem telemedizinischen Setting nicht anfreunden können. Sonst entsteht zwangsläufig eine Verschärfung der Zweiklassenmedizin.

 

Digital Doctor: Wie bewerten Sie den Einfluss dieses neuen Settings über Videotelefonie auf die Arzt-Patienten-Beziehung – gibt es dazu bereits Evidenz? Was ist gleichgeblieben, was hat sich geändert?
Blumencron: Es gibt bereits Evidenz, aber wissenschaftlich gesehen sind das natürlich noch Baby-Steps. Gleich geblieben ist auf jeden Fall der Beginn des Gesprächs mit der Begrüßung und mit einer Vorstellung, wenn es sich um ein telemedizinisches Setting mit unterschiedlichen Ärzt:innen handelt. Mit Begrüßung und Vorstellung beginnt bereits das Herstellen von einer Beziehung, und es wird ein vertrauensvoller Rahmen geschaffen. Gleich geblieben ist auch das Identifizieren von Gründen für das Gespräch und das Sammeln von Informationen. Diese Schritte laufen ähnlich bis gleich ab. Der größte Unterschied, den ich in den letzten drei Jahren in meinen Trainings beobachtet habe, liegt im Umstand, dass ein erheblicher Teil der nonverbalen Kommunikation im telemedizinischen Setting wegfällt. Ärzt:innen müssen hier besonders aufmerksam sein, sonst besteht die Gefahr, dass viel Information von den Patient:innen verloren geht. Das ist auf Dauer anstrengend.

 

Digital Doctor: Worauf sollten die Ärzt:innen bei der Videotelefonie also besonders achten?
Blumencron: Im Rahmen von Videokonsultationen kommt dem Blickkontakt eine größere Bedeutung zu und – vor allem natürlich, wenn es sich um ein rein telefonisches Gesprächssetting handelt – der Stimme. Untersuchungen zeigen, dass in einem Gespräch 36 % der Botschaft über die Stimme transportiert werden. Ein weiterer Faktor, auf den Ärzt:innen in einem telemedizinischen Setting besonders achten sollten, ist das zu rasche Unterbrechen der Patient:innen– im Schnitt erfolgt das bereits nach 21 Sekunden. Aufgrund der winzigen Zeitverzögerung, die bei Online-Konsultationen zwangsläufig auftreten, führen diese vorzeitigen Unterbrechungen auf beiden Seiten zu besonders großen Irritationen.

 

Digital Doctor: Im Rahmen meiner Tätigkeit als Allgemeinmediziner nehme ich immer wieder sehr stark wahr, welchen positiven Effekt der direkte physische Kontakt zu den Patient:innen haben kann, sei es indem ich einen schmerzenden Bauch mit meinen Händen untersuche, sei es dass ich mein Stethoskop bei der Auskultation von Lunge oder Herz auflege. Ist das „Placebo-Ärzt:in“ Ihrer Ansicht nach in einem digitalen Setting weniger wirksam?
Blumencron: Körperliche Berührung ist im therapeutischen Setting ein mächtiges Instrument, im Bereich der Pflege vielleicht sogar das mächtigste. Dieses Instrument fällt bei Videokonsultationen natürlich komplett weg. Dafür treten andere Aspekte des ärztlich-therapeutischen Wirkens in den Vordergrund, vor allem die Fähigkeit, zuzuhören. Diese ist für die Patient:innen nämlich genau so wichtig wie die fachliche Kompetenz. Das zeigen Umfragen, bei denen beide Aspekte hinsichtlich ihrer Wichtigkeit regelmäßig 97 % Zustimmung erhalten. In jeder Art von Gespräch ist das Gefühl wichtig, dass mein Gegenüber ganz anwesend ist. Dieses Gefühl bei den Patient:innen herzustellen ist in einem telemedizinischen beziehungsweise telefonischen Setting besonders wichtig, aber auch besonders anspruchsvoll, da ja die physische Präsenz fehlt.

 

Digital Doctor: Das Überbringen schlechter Nachrichten über ärztliche Videokonsultationen oder Telefonate – ein No-Go?
Blumencron: Sowohl für das Überbringen einer schlechten Nachricht etwa zu einer Diagnose mit schlechter Prognose als auch für das Führen von Gesprächen in einem palliativen Setting sind telemedizinische Kanäle gänzlich ungeeignet. Follow-up-Gespräche sind hingegen auch in der Onkologie durchaus möglich.

 

Digital Doctor: Was die Kommunikation ganz allgemein betrifft – sehen Sie einen höheren Schulungsbedarf für die Ärzteschaft aufgrund der Digitalisierung?
Blumencron: Es besteht tatsächlich ein höherer Bedarf nach Kommunikationsschulungen im Gesundheitsbereich, allerdings hat das weniger mit einer größeren Nachfrage nach telemedizinischen Konsultationen zu tun als mit der COVID-19-Pandemie. Diese hat nämlich ganz generell zu einer größeren Emotionalisierung und damit zu einem Anstieg des Kommunikationsbedarfs geführt. Der Anteil an sehr herausfordernden Gesprächen mit Betroffenen und Angehörigen ist nahezu explodiert.

 

Digital Doctor: Wie sehen Sie die Ärzteschaft der Zukunft für diese Herausforderungen – Digitalisierung, höhere Emotionalisierung – gerüstet?
Blumencron: Ich bin ein absoluter Fan der nun nachrückenden Generation von Mediziner:innen – die sind topausgebildet. Leider zeigen Studien, dass initial hochmotivierte Medziner:innen, was ihre Empathiebereitschaft betrifft, immer mehr abstumpfen, je länger sie im System tätig sind. Was wir brauchen, ist also eher ein anderes System mit mehr Zeit für die individuelle Beziehungsgestaltung als andere Ärzt:innen.