Morbus Horton – Warnsignal neu aufgetretener Kopfschmerz


Die Arteriitis cranialis, auch Morbus Horton genannt, ist eine chronische granulomatöse Entzündung der großen und mittleren Arterien. Diese Riesenzellarteriitis (RZA) befällt als Vertreter der Großgefäßvaskulitiden im Speziellen die Aorta und ihre abgehenden Äste. Prädilektionsstellen dabei sind die A. temporalis und die A. carotis externa. Morbus Horton tritt fast ausschließlich jenseits des 50. Lebensjahres auf (Altersgipfel um das 75. Lebensjahr) und kommt vermehrt in Europa und Nordamerika vor. Frauen erkranken wesentlich häufiger an dieser Vaskulitis als Männer. Die Erkrankung äußert sich mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Kiefer-Claudicatio, Sehstörungen und einer deutlichen Allgemeinsymptomatik. 



Ätiologie: Die Entstehung der Arteriitis cranialis ist nach wie vor weitgehend unbekannt; es wird eine multifaktorielle Genese angenommen. Hierzu zählt eine genetische Prädisposition mit erhöhter Frequenz des HLA-DR4. Weitere genetische Faktoren betreffen Polymorphismen von Genen, die eine wichtige Rolle in der Immunabwehr und der Entzündungsreaktion spielen. Zusätzlich wurde ein Zusammenhang mit stattgehabten Infektionen diskutiert. Aufgrund der Manifestation erst im höheren Lebensalter wird der physiologischen Alterung der Gefäßwände ein zusätzlich prädisponierender Faktor zugeschrieben. Dabei wird angenommen, dass die degenerativen Veränderungen der elastischen Fasern bei anfälligen Personen ein verändertes Antigen darstellen, auf das dann eine Autoimmunreaktion erfolgt.

Histopathologie: Das histologische Bild der Arteriitis cranialis ist durch ein granulomatöses entzündliches Infiltrat gekennzeichnet. Riesenzellen finden sich in 50 % der Biopsien und stellen das typische klinische Zeichen der Erkrankung dar. Die Arterien sind in der Längsrichtung segmental befallen, wobei das entzündliche Infiltrat vorwiegend im Übergangsbereich zwischen Adventitia und Media zu finden ist. Durch den entzündlichen Prozess werden die Lamina elastica interna und externa fragmentiert, die Muscularis media zerstört, zusätzlich kommt es zu einer Proliferation der Intima. Diese Veränderungen führen schließlich zu einem Verschluss des betroffenen Gefäßsegmentes.


Klinik: Das häufigste Symptom bei der Arteriitis cranialis, welches bei 2/3 aller Patienten vorliegt, ist neu aufgetretener Kopfschmerz. Diese Schmerzen werden vorwiegend temporal, seltener auch occipital beschrieben. Das betroffene Gefäß, die A. temporalis, ist häufig tastempfindlich und verdickt. Diese Veränderungen können selten auch andere Kopfarterien (z. B. A. occipitalis, A. auricularis posterior) betreffen. Zusätzlich werden in 50 % aller Fälle oberflächliche Schmerzsensationen im Bereich der Kopfhaut beschrieben, welche unter anderem im Rahmen der Körperpflege (Waschen, Haare kämmen etc.) empfunden werden. Diese Schmerzen sind durch die Ischämie im Versorgungsgebiet der betroffenen Arterien erklärbar. Die Ischämie kann bei stärkerer Ausprägung bis zu Nekrosen der Kopfhaut oder der Zunge führen. Eine belastungsabhängige Schmerzsymptomatik der Kaumuskulatur, die sog. Kiefer-Claudicatio, tritt in 50 % der Fälle ein.
Die gefürchtete frühe Manifestation des Mb. Horton ist der permanente partiale oder komplette Visusverlust, welcher in bis zu 20 % der Patienten bereits bei Erstvorstellung beobachtet wird. Diese Augenbeteiligung kann ein- oder auch simultan beidseitig auftreten. Als ursächlich für den Visusverlust ist die anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) bei Verschluss der A. ciliaris posterior anzusehen. Der AION kann in fast der Hälfte aller Fälle eine Amaurosis fugax vorangehen. Dabei handelt es sich um eine vorübergehende Ischämie der Retina, die sich in einer flüchtigen, meist einseitigen, aber reversiblen Blindheit äußert.
Neben diesen Ischämie-bedingten Symptomen wird häufig auch eine Allgemeinsymptomatik im Rahmen der Entzündung beobachtet. Zu diesen Symptomen gehören Fieber, starkes Krankheitsgefühl, Nachtschweiß, Myalgien, Arthralgien, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust. Aus diesem Grunde werden häufig diese ersten Symptome fälschlich als grippaler Infekt fehlinterpretiert, was mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine irreversible Visusbeeinträchtigung verbunden ist. Ein Teil der Patienten leidet zusätzlich an Schmerzen der Nackenmuskulatur und des Schulter- oder Beckengürtels mit begleitender Morgensteifigkeit im Sinne einer Polymyalgia rheumatica.

Komplikationen: Spät auftretende Komplikationen des Mb. Horton betreffen vor allem die Aorta und ihre großen Abgänge. Es wurden in bis zu 10–15 % der Patienten sekundäre Stenosen oder Verschlüsse im Bereich der A. subclavia, der A. axillaris oder der A. brachialis beschrieben. Zusätzlich wurde ein bis zu 17-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten von Aortenaneurysmen, vor allem im Bereich der Aorta ascendens und des Aortenbogens beobachtet. Bei 3–4 % der Patienten tritt bei Obstruktion der A. carotis interna oder A. vertebralis eine transitorische ischämische Attacke (TIA) oder ein Insult auf. Eine Entzündung von intrakraniellen Gefäßen ist sehr selten.


Diagnostik: Die Diagnostik der Arteritis cranialis beginnt mit einer genauen Anamnese hinsichtlich klassischer Symptome wie Kopfschmerz, Kiefer-Claudicatio, Visusveränderungen, Fieber, Krankheitsgefühl, Nachtschweiß, Gewichtsverlust oder Schmerzen im Schulter- und Hüftgürtel. Die A. temporalis sollte auf Verhärtungen und Schmerzhaftigkeit abgetastet werden (Abb. 1). Die Auskultation der Temporalarterie kann diagnostisch hinsichtlich möglicher Stenosegeräusche hilfreich sein. Im Gegensatz zu anderen Vaskulitiden gibt es keine spezifischen immunologischen Parameter. Eine deutliche Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und des C-reaktiven Proteins (CRP) wird allerdings bei fast allen Patienten mit Mb. Horton beobachtet. Weitere Laborveränderungen umfassen eine Erhöhung von Interleukin-6, eine Thrombozytose oder eine normochrome normozytäre Anämie.

 

 

Sonografisch kann ein hypoechogener Saum (Halo) um die A. temporalis, aber auch um andere betroffene Arterien, wie z. B. die A. vertebralis, nachgewiesen werden (Abb. 2). Dieser dunkle Ring um die Gefäße ist das sonografische Korrelat zum perivaskulären Ödem im Rahmen des Mb. Horton. Die Biopsie der A. temporalis ist nach wie vor der Goldstandard in der Diagnostik der Riesenzellarteriitis. Dabei wird unter Lokalanästhesie ein 1–2 cm langes Stück der A. temporalis entnommen und histopathologisch ausgewertet.

 

 

Die Kriterien für die Arteriitis cranialis wurden 1990 von dem American College of Rheumatology (ACR) festgelegt und umfassen 5 Punkte (Tab.). Von diesen 5 Kriterien müssen mindestens 3 erfüllt werden, um die Diagnose des Mb. Horton mit einer Sensitivität von 93,5 % und einer Spezifität von 91,2 % stellen zu können. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Kriterien nur für die Abgrenzung gegenüber anderen Vaskulitiden untersucht sind. Eine Diagnose allein aufgrund der ACR-Kriterien ist nicht zulässig.

 

 

Behandlung: Trotz der geringen Evidenz über ihren Einsatz sind Glukokortikoide seit Jahren das wichtigste Standbein in der Therapie. Bereits bei klinischem Verdacht für das Vorliegen einer RZA sollte zur Verhinderung möglicher Visusveränderungen die Steroidtherapie unmittelbar begonnen werden. Derzeit wird als initiale Dosis von Methylprednisolon 1 mg/kg Körpergewicht mit einer maximalen Tagesdosis von 60 mg empfohlen. Besonders bei bereits vorliegender Augenbeteiligung wird jedoch häufig eine hohe Initialdosis von 500–1.000 mg gewählt. Bereits nach wenigen Tagen bessern sich in der Regel sowohl die Allgemeinsymptomatik als auch die Kopfschmerzen. Trotz Besserung dieser Symptome werden häufig bleibende Visusveränderungen beobachtet. Steroide werden stufenweise reduziert, jedoch in der Regel zur Risikoreduktion eines Relaps meist für zumindest 2 Jahre verabreicht. Als mögliches Kortison-sparendes Basistherapeutikum wird Methotrexat trotz widersprüchlicher Datenlage zur Behandlung der RZA empfohlen. Diese ergänzende Therapie, welche Kortison auf keinen Fall ersetzt, sollte insbesondere bei therapierefraktären Fällen oder Notwendigkeit zu höheren Kortisondosen (z. B. rezidivierender Relaps bei Dosisreduktion) erwogen werden.

Zusammenfassung: Die Arteriitis cranialis ist eine seltene entzündliche Erkrankung mittelgroßer und großer Arterien, welche insbesondere im höheren Lebensalter auftritt. Neben den typischen Symptomen Kopfschmerz und Kiefer-Claudicatio leidet die Mehrzahl der Patienten unter einer ausgeprägten Allgemeinsymptomatik. Aufgrund der möglichen Komplikation eines permanenten Visusverlustes ist eine umgehende Steroidtherapie wie auch weiterführende Abklärung mittels Temporalarterienbiopsie unumgänglich. Zusätzliche Basistherapeutika werden widersprüchlich diskutiert und sollten vor allem bei therapierefraktärem Verlauf in Erwägung gezogen werden.