Die Highlights vom EAU 2011 – Das Prostatakarzinom im Mittelpunkt

SPECTRUM ONKOLOGIE: Wie beurteilen Sie die 12-Jahres-Daten der ERSPC-Studie?

Univ.-Doz. Dr. S. Madersbacher: Ein Update der laufenden ERSPC-Studie (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer) zum Nutzen des PSA-Screenings wurde mit Spannung erwartet. Prof. Fritz Schröder, internationaler Koordinator der ERSPC, präsentierte eine Subanalyse mit den Daten der vier ERSPC-Centren in den Niederlanden, Schweden, Finnland und der Schweiz. Demnach reduziert das PSAScreening das Risiko, ein metastasiertes PCa zu entwickeln, um rund 31 % im Follow-up von 12 Jahren (p < 0,001). Die NNS (number needed to screen) betrug 318, die NNT (number needed to treat) 16. Diese Zahlen sind als wichtiger Schritt vorwärts zu bezeichnen, da sie deutlich niedriger sind als jene der Erstpublikation der ERSPC im New England Journal of Medicine im Jahr 2009 (1.410 [NNS] und 49 [NNT]). Viele metastasierte Fälle wurden im ersten Jahr nach der Diagnose entdeckt, in der Folge fielen die Zahlen bis zum 7. Jahr, wo eine weitere Welle diagnostizierter metastasierter Fälle eintrat. Diese Daten bestätigen eindeutig die Wertigkeit des Screenings, und mit zunehmendem Follow- up werden die Unterschiede zwischen Screening und Nicht-Screening vermutlich noch weiter auseinandergehen. Diese Daten unterstreichen aber auch, dass ein Prostatakarzinom-Screening nur bei einer Lebenserwartung von zumindest 10 Jahren Sinn macht.

H. van Poppel präsentierte die 10-Jahres-Follow-up- Daten der EORTC-Studie 22911. Wie interpretieren Sie die Daten?

Die Studie untersuchte die Wertigkeit einer adjuvanten (= sofortigen) Strahlentherapie bei Hochrisioko- Prostatakarzinom-Patienten nach radikaler Prostatektomie im Vergleich zu einer Salvage-Radiotherapie. Nach einem durchschnittlichen Follow-up von 10,6 Jahren war das biochemisch progressionsfreie Überleben in der Gruppe mit adjuvanter Bestrahlung signifikant höher (13,2 Jahre vs. 6,12 Jahre). In der Interpretation würde dies heißen, dass Hochrisikopatienten mit positiven Schnitträndern oder pT3 PCa nach einer radikalen Prostatektomie von einer sofortigen postoperativen externen Bestrahlung profitieren. Keinen Vorteil bringt die adjuvante Bestrahlung den Daten zufolge aber bezogen auf das Gesamtüberleben. Das Hauptproblem dieser Studie liegt darin, dass der Kontrollarm nicht der gängigen Praxis entspricht. Hochrisikopatienten (pT3/R+) werden heute in der Regel nicht mehr adjuvant bestrahlt, sondern es wird der PSA-Anstieg abgewartet. Steigt der PSA-Wert auf niedrigem Niveau an, erfolgt eine Bestrahlung. Letztendlich kann man aus dieser Studie nicht schließen, ob eine adjuvante oder eine frühe Salvage-Bestrahlung von Vorteil ist. Wie sehr viele Langzeitstudien werden die Endergebnisse von der gängigen Praxis eingeholt. Dennoch sind diese Langzeitergebnisse sehr wertvoll.

Welchen Stellenwert haben die Ergebnisse der REDEEM-Studie mit Dutasterid, da ja die Substanz keine Zulassung zur Risikoreduktion von PCa hat?

GlaxoSmithKline hat im April den Antrag für die europäische Zulassung des 5-Alpha- Reduktaseinhibitors Dutasterid zur Risikoreduktion von PCa zurückgezogen. In der REDEEM-Studie wurde der Frage nachgegangen, ob Dutasterid einen Effekt auf die Krankheitsprogression hat. Die doppelblinde, placebokontrollierte über einen Zeitraum von 3 Jahren laufende Studie umfasste eine gut definierte (low-risk, low-grade) PCa-Patientengruppe, die unter Active Surveillance stand. Diese erhielten entweder Dutasterid (0,5 mg 1-mal täglich) oder Placebo. Dutasterid reduzierte die Zeit bis zur Progression verglichen mit Placebo signifikant (relative Risikoreduktion = 38,9 %; p = 0,007). Möglicherweise werden Urologen Dutasterid bei dieser Patientengruppe Off-Label einsetzen.

Beim hormonrefraktären PCa kommen einige neue Substanzen auf den Markt. Welche Veränderungen wird es dadurch geben?

Vor etwa zwei bis drei Jahren war die Chemotherapie der nächste Schritt bei Patienten mit einem kastrationsresistentem Tumor. Die Kastrationsresistenz liegt in Veränderungen des Androgenrezeptors begründet. Es kommen nun neue Substanzen (Abirateron/MDV3100) auf den Markt, die gezielt an diesem Mechanismus ansetzen. Es ist davon auszugehen, dass die Rolle der Chemotherapie in 1 bis 2 Jahren zurückgehen wird. Derzeit sind diese Substanzen im Post-Chemotherapie- Setting getestet. In diversen Studien werden sie aber bereits vor der Chemotherapie untersucht. Cabazitaxel hat bereits die EU-Zulassung zur Zweitlinientherapie beim metastasierten hormonrefraktären PCa nach Taxotere erhalten. MDV3100, Abirateron und TAK700 sind weitere vielversprechende neue Substanzen, die das Behandlungsspectrum beim hormonrefraktären PCa sicherlich deutlich erweitern werden.

Da Silva präsentierte ein Update zur intermittierenden vs. kontinuierlicher maximaler Androgenblockade (MAB) beim fortgeschrittenen PCa. Eine Bestätigung der Ergebnisse von 2009?

Es gibt wenige Studien, in denen die intermittierende mit einer kontinuierlichen Hormontherapie beim fortgeschrittenen PCa verglichen wird. Die größte Publikation war jene, die 2009 in European Urology mit einem Follow-up von 51 Monaten veröffentlicht wurde. 766 Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten PCa erhielten für 3 Monate eine Induktionstherapie. Jene 626 Patienten, bei denen das PSA unter 4 ng/ml oder über 80 % des Initialwerts abfiel, wurden randomisiert. Während der Induktionstherapie erhielten die Patienten für 2 Wochen 200 mg Cyproteronacetat (CPA), gefolgt von monatlichen Depotinjektionen eines LHRH-Analogons plus 200 mg Cyproteronacetat pro Tag. Das Fazit der Autoren: Die intermittierende Hormontherapie sollte in der täglichen Routine berücksichtigt werden, da sie nicht mit einem erniedrigten Überleben, nicht mit klinisch bedeutungsvollen Einschränkungen der Lebensqualität, verbesserter sexueller Aktivität und einem erheblichen ökonomischen Benefit für den individuellen Patienten und die Gemeinschaft verbunden ist. Die aktuell von Da Silva et al. präsentierte Phase-IIIStudie mit einem Follow-up von 57 Monaten bestätigt die Schlussfolgerung.

Welche Trends zeichnen sich in der Therapie des Nierenzellkarzinoms ab?

Hier hält auf jeden Fall der Siegeszug der Laparoskopie weiter an. Die Ausdehnung des Organerhalts findet zunehmend statt, indem man heute versucht, bei fast jeder Tumorgröße die Niere organerhaltend zu operieren. Betreffend Tyrosinkinasehemmer (TKI) bezieht sich die aktuelle Fragestellung auf das adjuvante Setting. Es laufen große Studien, die den Benefit der TKI im adjuvanten Setting bei Hochrisikopatienten untersuchen. Weitere Studien laufen zur Rolle der palliativen Nephrektomie in Kombination mit diversen TKI. Hier hat sich vor über 10 Jahren gezeigt, dass diesbezüglich die Tumornephrektomie im Rahmen einer Immuntherapie von Vorteil ist. Derzeit weiß man allerdings nicht, ob dieses Dogma im Setting der TKI auch Gültigkeit hat.

Gibt es neue Erkenntnisse beim Hodentumor?

Beim Hodentumor wurden keine Daten zu neuen Therapien präsentiert, sondern Daten, die das Verständnis über Langzeitnebenwirkungen nach Strahlen- oder Chemotherapie verbessern. Bei Langzeitüberlebenden eines Hodentumors nach Strahlentherapie sieht man zunehmend Sekundärkarzinome des Pankreas bzw. Magens. Demnach tritt die Rolle der Strahlentherapie in den Therapiealgorithmen des Hodentumors zunehmend in den Hintergrund. Spättoxizitäten werden aber auch nach der Chemotherapie beobachtet (# 1035). Eine Erhebung der Spättoxizitäten anhand von Fragebögen, basierend auf den Angaben von 46 Überlebenden nach Hodentumor (Zeitraum der BEP-Chemotherapie [Cisplatin, Etoposid und Bleomycin] (100 mg/m2/ Zyklus): 2000–2006) ermittelte nach einem mittleren Follow-up von 7,5 Jahren höhere Hörschwellen. Weitere Beschwerden betrafen das Raynaud-Phänomen der Hände (13 %), Tinnitus (13 %) und die sensorische Neuropathie (Hände) (9 %). Daher versucht man heute auch, die Anzahl der Chemotherapiezyklen beim Hodentumor zu reduzieren. Es geht um die Reduktion der behandlungsbedingten Morbidität, insofern ist das Wissen um die Toxizitäten und deren Langzeitfolgen relevant.

Die Botulinumtoxin-A-Therapie hat die Behandlung bei therapierefraktärer überaktiver Blase (ÜAB) revolutioniert. Welche neuen Aspekte gibt es dabei?

Die Rolle des Botulinumtoxins wurde in der bis dato größten multizentrischen, doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studie von Tincelllo et al. (# 581) unterstrichen. In die Studie eingeschlossen waren 240 Frauen mit therapierefraktärer überaktiver Blase und ausgeprägter Symptomatik, die entweder 200 IU (20 x 10 IU) Botulinumtoxin A oder Placebo (Vehikel) erhielten. Die Nachkontrollen erfolgten nach 6 Wochen, 3 bzw. 6 Monaten. Als primärer Endpunkt wurde die Miktionsfrequenz nach sechs Monaten definiert. Die Auswertung (Verum: 116 Frauen, Placebo: 111 Frauen) zeigte eine signifikante Reduktion von Miktionsfrequenz, Drangepisoden und Inkontinenz sowie eine Verbesserung der Lebensqualität bei jenen Frauen, die BoNT-A erhielten. Zu Studienende waren 30 % der Patientinnen aus der Botox und 12 % aus der Placebo- Gruppe kontinent. Auf Basis dieser Daten könnte eine Zulassung von Botulinumtoxin A zur Behandlung der ÜAB erfolgen. Als vielversprechendes Medikament der Zukunft bei ÜAB erweist sich der ß-3- Adrenozeptor-Agonist Mirabegron. Die Substanz steht nach erfolgreichen Phase- III-Studien (Nitti V et al., #885; Khullar V et al., # 886) vor der Zulassung. Vielversprechend unter anderem auch deswegen, da die Drop-out-Rate bei herkömmlicher Antimuskarinikatherapie sehr hoch ist (70 % innerhalb der ersten 6–12 Monate), weil die Nebenwirkungen doch zum Teil signifikant sind bzw. die Effizienz doch begrenzt ist.