Schlaf und Schlaganfall

Ein erholsamer Schlaf trägt nicht nur zur Erholung bei, sondern gilt als wesentliche Voraussetzung für neuronale Plastizität. Experimentelle Studien mit einem Schlaganfall-Rattenmodell konnten einen verzögerten Heilungsverlauf unter Schlafentzug zeigen und auch randomisierte, klinische Studien mit Schlaganfallpatienten ein besseres motorisches Lernen nach Schlafbedingung versus Nicht-Schlafbedingung nachweisen1-2. Nach mehreren Metaanalysen stellt der Schlaf selbst einen Risikofaktor für einen Schlaganfall dar3. Zwischen 6 Uhr und 12 Uhr kommt es zu einem Anstieg der Schlaganfälle aller Subtypen (ischämisch, hämorrhagisch, TIA). Eine mögliche Erklärung für diesen Umstand sind zirkadiane und lageabhängige Veränderungen der Blutgerinnung, des Blutdrucks, der Herzfrequenz sowie der Katecholamine beim Erwachen1.

Schlafapnoe als unabhängiger vaskulärer Risikofaktor

In den letzten 20 Jahren wurde die Schlafapnoe (SA) – insbesondere vom obstruktiven Typ (OSA) – als unabhängiger Risikofaktor für Morbidität/Mortalität und kardiovaskuläre Erkrankungen anerkannt. Vor allem für die arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen besteht eine gute Evidenzlage1.
In der Wisconsin-Sleep-Kohorte (n = 1.522 Patienten) betrug im Beobachtungszeitraum von 18 Jahren die adjustierte Hazard-Ratio für die Gesamtmortalität beim Vergleich der Gruppen mit schwerer und fehlender SA3 und für die kardiovaskuläre Mortalität4. In der gleichen Studie fand sich auch eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen der Schwere der SA und der Manifestation einer Hypertonie als wichtigstem Schlaganfall- Risikofaktor. Eigene Untersuchungen mittels Puls – wellenlaufzeit (Abb. 1) zeigen bei Schlaganfallpatienten mit SA mehr respiratorisch assoziierte Blutdruckanstiege pro Stunde im Vergleich zu Patienten mit normaler Atmung5.
Schlafapnoe als Beschleuniger der Atherosklerose: In Form einer Kaskade wird angenommen, dass die repetitiven Hypoxien und Arousals als Folge der Apnoen zu einer Erhöhung des Sympathikustonus und zu einer systemischen Entzündung führen. SA gilt mittlerweile als typische oxidative Stresserkrankung1 (Abb. 2). Das ständige nächtliche Valsalva- Manöver gegen die verschlossenen Atemwege führt zu einer enormen Druck- und Dehnbelastung auf die Vorhöfe und erklärt die höhere Inzidenz von Vorhofflimmern bei SA, dem wichtigsten embolischen Risikofaktor für Schlaganfall1. Metabolische Störungen (Insulinresistenz) und Hyperkoagulabilität gelten als die weiteren wichtigsten Zwischenmechanismen zum vaskulären Endpunkt1.
Wie eigene Messungen der Intima-Media-Dicke bei Schlaflaborpatienten zeigten, führen bereits geringgradig erhöhte AHI-(Apnoe-Hypopnoe-Index)- Werte zu einer signifikanten, unabhängigen Zunahme der Intima-Media-Dicke6. Serum-Surrogatmarker wie das hochsensitive CRP scheinen Prediktoren einer fortgeschrittenen Atherosklerose bei Patienten mit schwerer OSA-bezogener Hypoxie zu sein. Tagesschläfrigkeit wurde als guter Prediktor einer zerebralen Atherosklerose identifiziert.

Schlafapnoe und zerebrale Durchblutung: Nächtliche Apnoen dürften auch einen negativen Effekt im Rahmen der akuten zerebralen Ischämie haben, wo das Risiko einer Ausdehnung der vulnerablen, noch nicht irreversibel geschädigten ischämischen Hirnareale (der sogenannten Penumbra) um den (irreversibel geschädigten) Infarktkern und somit schwerer neurologischen Ausfälle besteht1. Duplexsonographische Studien zeigten eine signifikante Reduktion des Blutflusses in der Arteria cerebri media als Folge der Apnoen1.

 

Klinische Charakteristika der Schlafapnoe bei Schlaganfallpatienten

In der Akut- und Subakutphase des Insults haben 70% der Schlaganfallpatienten eine relevante SA. Nach Reduktion der Rückenlagezeit durch bessere Mobilität, Verbesserung der Lungen- und Herzfunktion kommt es meist zu einer spontanen Reduktion von zentralen Apnoen mit einer Persistenz von obstruktiven, oft vorbestehenden Apnoen. Laut eigener Daten unseres Rehabilitationszentrums liegt die Prävalenz der SA unter Schlaganfallpatienten bei 56% (international 30 bis 70% je nach Definition), wobei obstruktive Apnoen mit über 70% der häufigste Typ sind7. Dabei handelt es sich meist um Patienten mit multiplen vaskulären Risikofaktoren, bei denen der Schlaganfall eine präexistierende Situation verschärft. Persistierende Apnoen vom zentralen Typ und/oder eine Cheyne-Stokes-Atmung (zentrale periodische Atmung) finden sich bei 30 bis 40% der Schlaganfallpatienten. Oft bestehen dann ausgedehnte bihemisphärische oder Hirnstammischämien und/oder eine Herzinsuffizienz.
Als rasch verfügbare objektive Methode zum Nachweis einer SA dient die kardiorespiratorische Polygraphie. Dabei erfolgt mittels eines tragbaren Rekordersystems eine Messung des Atemflusses, der Atemexkursionen, der Körperlage und der Sauerstoffsättigung. Diese Messung dient als Entscheidungsbasis für pulmologische, kieferorthopädische und konservative Therapiestrategien und für die Überweisung an ein Schlaflabor für eine komplette Polysomnographie.
Klinische Interviews zur Evaluation schlafbezogener Atmungsstörungen – beispielsweise anhand des Berliner Fragebogens (mündliches Screening zu klinischen Symptomen der Schlafapnoe-Atmungsstörungen, Tagesmüdigkeit und begleitende Risikofaktoren) – sind in der Neurorehabilitation für eine schlafbezogene Atmungsstörung nicht ausreichend7. Das klinisch einprägsame Bild des korpulenten Schlafapnoepatienten mit hohem sozialem Leidensdruck durch exzessives Schnarchen, der im Wartebereich der Ambulanz einschläft, gilt also nicht für Schlaganfallpatienten. In linearer Beziehung zum Schweregrad der obstruktiven schlafbezogenen Atmungsstörung steht neben einer Verlängerung des stationären Aufenthalts auch eine eindeutige Zunahme der Mortalität und der reduzierten funktionellen Kapazität1.

Therapie der Schlafapnoe nach Schlaganfall

Die Behandlung der SA bei Schlaganfallpatienten stellt vor allem bei schwer betroffenen Patienten eine interdisziplinäre Herausforderung dar. In der akuten Phase an der Stroke-Unit stehen daher eher die Prävention und eine Vermeidung von sekundären Komplikationen (Aspirationspneumonie, Schmerzen auf der betroffenen Seite) im Vordergrund1. Eine regelmäßige Mobilisation sollte gefördert werden, wobei Pilotstudien mit Lagepolstern, die die Rückenlage nach Schlaganfall verhindern, erste positive Effekte zeigten8. Die abendliche Verabreichung zentral wirkender atemdepressiver Medikamente (Opiate) und Muskelrelaxantien (Antispastika) ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Bei adipösen Patienten sollte eine Gewichtsabnahme angestrebt werden.
Die Indikation zu einer nCPAP-Therapie in der Akutphase wird aufgrund der ungenügenden Datenlage und aus praktischen Gründen zur Zeit noch kontrovers beurteilt1. Die Akzeptanz einer CPAP-Beatmung während der ersten 2 bis 8 Wochen nach einem Schlaganfall beträgt je nach Studie 45 bis 70%1. Längerfristig (Follow-up bis 6 Jahre) können jedoch nur 15% der Patienten eine CPAP-Therapie beibehalten.
Laut einer prospektiven Observationsstudie9 aus Spanien ist die Mortalität 5 Jahre nach dem ersten Schlaganfall unter regelmäßigem CPAP-Gebrauch bei schwerer SA signifikant niedriger als bei Patienten, die sich in der Sekundärprävention nach Schlaganfall für keine Therapie entscheiden (50% versus 68%). Zudem zeigte eine rezente amerikanische Studie, dass sich nach einer nCPAP-Anpassung im Rahmen der Neurorehabilitation eine signifikante Verbesserung der funktionellen und motorischen Kapazität ohne Effekt auf kognitive Funktionen ergibt10. Faktoren, die eine nCPAP-Therapie in den ersten Tagen nach Schlaganfall favorisieren, sind:

  • leichter bis mittelschwerer Schlaganfall,
  • keine schwere Aphasie, faziale Parese oder Demenz,
  • Alter < 70 Jahre,
  • keine schwere Komorbidität,
  • multiple kardiovaskuläre Risikofaktoren,
  • AHI > 30/h und überwiegend obstruktives SA und
  • eine exzessive Tagesschläfrigkeit1.

Für Unterkieferprotrusionsschienen besteht eine sehr gute Evidenzlage für das milde bis mittelschwere Schlafapnoesyndrom, wobei es speziell für Schlaganfallpatienten noch keine genauen Daten gibt. Die im Regelfall erforderliche individuelle Anpassung einer Schiene durch einen Zahnarzt ist neben der noch fehlenden Kassenerstattung in Österreich ein Problem der täglichen Praxis.

Schlafstruktur nach Schlaganfall

Im akuten Zustand nach Schlaganfall kann es je nach Topographie der Läsion zu Änderungen der Makro- und Mikrostruktur des Schlafes und zum Auftreten von Insomnien kommen, begünstigt sowohl durch die Intensivbetreuung auf der Stroke Unit als auch durch lähmungsbedingtes Unvermögen, eine gewohnte Schlafhaltung einzunehmen1. Es können aber auch Hypersomnien und Parasomnien als Folge eines Schlaganfalls auftreten. Veränderungen der Schlafarchitektur nach hemisphärischen Insulten lassen nur bescheidene Rückschlüsse auf die Topographie der vaskulären Läsion zu.
Schlaganfälle, die die Formatio reticularis oder den paramedianen Thalamus betreffen, können ein alternierendes Bild von Hypersomnie und Insomnie zur Folge haben, entsprechend der Funktion dieser Areale hinsichtlich Arousalbildung und Schlaf-Wach-Zyklus.

Komorbide Depression und Angststörung

Depressionen nach Schlaganfällen treten mit einer Häufigkeit von ca. 20 bis 25% als Major- und weiteren 10 bis 20% als Minor-Varianten nach dem Akutereignis auf 11. Depressive Schlaganfallpatienten zeigen einen schlechteren Rehabilitationserfolg sowie eine deutlich erhöhte Letalität. Psychopharmakotherapeutische Studien wurden sowohl mit trizyklischen Antidepressiva als auch mit SSRI und Psychostimulanzien durchgeführt, wenngleich es kaum placebokontrollierte Untersuchungen gibt. Bei gleichzeitigem Auftreten von Insomnie und Post-Stroke-Depression wären jedoch vornehmlich 5HT2-Rezeptor-blockierende Antidepressiva einzusetzen11.
21% der Schlaganfallpatienten weisen eine generalisierte Angststörung auf, die als hinderlich für eine Rehabilitation beschrieben wird11. Der Einsatz von Anxiolytika ist jedoch wegen deren muskelrelaxierenden Eigenschaften bei SA problematisch.

resümeeSchlafstörungen können sowohl Ursache (z. B. obstruktive Schlafapnoe als unabhängiger Risikofaktor) als auch Folge des Schlaganfalls (z. B. passagere zentrale Schlafapnoe) sein. Klinische Interviews sind bei Schlaganfallpatienten zur Evaluation schlafbezogener Atmungsstörungen nicht ausreichend. Im Sinne eines optimalen Risikofaktormanagements und einer erfolgreichen Neurorehabilitation sollte bei jedem Schlaganfallpatienten eine kardiorespiratorische Polygraphie und bei hoher Komorbidität eine Polysomnographie erfolgen. Da Komorbiditäten (Schmerz, Depression) und Medikamente unterschiedliche Veränderungen der Schlafarchitektur bewirken, ist zur Findung der optimalen medikamentösen, apparativen und verhaltstherapeutischen Therapie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu empfehlen.

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2) Siengsukon CF, Boyd LA, Sleep enhances implicit motor skill learning in individuals poststroke. Top Stroke Rehabil 2008; 15(1):1-12
3) Turin TC et al., Morning surge in circadian periodicity of ischaemic stroke is independent of conventional risk factor status: findings from the Takashima Stroke Registry 1990-2003. European Journal of Neurology 2009; 16(7):843-51
4) Young T et al., Sleep disordered breathing and mortality: eighteen-year follow-up of the Wisconsin sleep cohort. Sleep 2008; 31(8):1071-8
5) Saletu M et al., Kontinuierliche nächtliche Blutdruckmessung mittels Pulswellenlaufzeit (PTT) bei Schlaganfall: DGSMF Jahrestagung in Bremen; Somnologie Band 14; Supplement 1; Oktober 2010
6) Saletu M, Sauter C, Lalouschek W, Saletu B, Kapfhammer G, Benesch T, Zeitlhofer J, Is excessive daytime sleepiness a predictor of carotid atherosclerosis in sleep apnea? Atherosclerosis 2008; 196:810-816
7) Kotzian S, Stanek J, Pinter M, Grossmann W, Saletu M, Subjective evaluation of sleep apnea is not sufficient in neurorehabilitation. Topics in Stroke Rehabilitation and Neural Repair; in press
8) Svatikova A et al., Positional therapy in ischemic stroke patients with obstructive sleep apnea.Sleep Medicine 2011; 12:262-266
9) Martínez-García MA et al., Continuous positive airway pressure treatment reducesmortality in patients with ischemic stroke and obstructivesleep apnea: a 5-year follow-up study. Am J RespCrit Care Med 2009; 180:36-41
10) Ryan CM et al., Influence of continuous positive airway pressure on outcomes of rehabilitation in stroke patients with obstructive sleep apnea Stroke 2011; 42(4):1062-7 11) Saletu B, Nosiska D, Saletu M, Saletu-Zyhlarz