Arzneimittel in der Onkologie – Systemfeind Nr. 1? – Sicherstellung der onkologischen Versorgung, EU-weite Kostendiskussionen

Im Lancet Oncology „Commission Statement“ wird bemerkenswerterweise festgehalten, dass die zunehmende Verfügbarkeit neuer Medikamente, der kürzere Lebenszyklus neuer Technologien gemeinsam mit gesellschaftlichen Vorurteilen, die sich aus einem Informationsmangel ergeben (z. B. zu wenig informierte politische oder regulatorische Instanzen) ein immer defensiveres Verhalten der Ärzteschaft auslösen. Es wird ein radikaler Paradigmenwechsel in der onkologischen Strategie gefordert; z. B. wäre es im internationalen Kontext nicht hinzunehmen, wenn ein ungleicher Zugang zu Krebstherapien von politischer Seite toleriert wird. Es besteht ein Defizit in der öffentlichen Diskussion, wenn Kosten in der Onkologie zumeist auf Einzelsubstanzen bezogen und dann als zu hoch empfunden werden und der Gesamtkontext ausgeblendet wird. In Deutschland wurde die Diskussion zur „Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie“ bereits im Jahr 2010 öffentlich geführt, und zwar als Vorbereitung auf das im Jahr 2011 geschaffene „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ (AMNOG), mit dem dann auch in Österreich die Frage gestellt wurde, ob es Auswirkungen geben kann. In Deutschland wurden Pharmaunternehmen gesetzlich verpflichtet, den Zusatznutzen für neue Arzneimittel nachzuweisen und innerhalb eines Jahres den Preis des Arzneimittels mit der gesetzlichen Krankenversicherung zu vereinbaren. Von den Krankenversicherungen wurden neue Konzepte mit der Begründung gefordert, dass nach der erfolgten Zulassung eine sofortige Anwendung neuer Medikamente möglich ist, auch wenn deren Nutzen im Vergleich zu etablierten Behandlungen oft nur unzureichend gesichert wäre – was den Zielen nach Qualität und Wirtschaftlichkeit widersprechen würde. Unter den im Jahr 2010 diskutierten Perspektiven wurden Einrichtungen wie das „National Institute for Health and Clinical Excellence“ (NICE) nicht unbedingt als Vorbild gesehen: So wurde auch von Vertretern deutscher Kassen Kritik geäußert, dass die Zulassung neuer Therapien nach den von NICE definierten QUALY (vgl. unten) Patienten innovative Therapien vorenthalten kann und politisch kaum durchsetzbar wäre. Was in Deutschland diskutiert wurde, waren Kooperationen der gesetzlichen Krankenversicherungen mit Studiengruppen, eine unmittelbar nach der Zulassung auf Prüfzentren beschränkte Anwendung neuer Medikamente mit Einschluss in Studienprotokolle und eine allgemeine Verordnungsfähigkeit erst nach Klärung versorgungsrelevanter Fragen: z. B. Sicherstellung des Nutzens für den Patienten (Lebensqualität, Marker für das Therapieansprechen mit der Intention einer geringeren Number needed to treat, NNT), Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit im Sinne eines „fairen“ Vergleichs mit etablierten Medikamenten bzw. nach einer Kosten-Nutzen-Bewertung. Letzteres ist nach wie vor Gegenstand heftiger Diskussionen. Grundsätzlich sinnvolle Kosten-Nutzen-Bewertungen müssen auch sinnvoll gestaltet werden und bei der Ergebnisinterpretation die Besonderheiten des Medikaments berücksichtigen. In der Praxis zeigt sich, dass ein Jahr nach Schaffung des AMNOG aktuelle Entscheidungen des „Gemeinsamen Bundesausschusses“ (G-BA) von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) offen kritisiert werden und die Frage aufgeworfen wird, welchen Wert die Verlängerung der Überlebenszeit bei Krebspatienten hat. Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung sind drei neue Krebsmedikamente – Abirateron, Cabazitaxel und Eribulin – vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet worden. Alle drei Medikamente führen bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung zu einer Verlängerung der Überlebenszeit um mehrere Monate: Abirateron und Cabazitaxel bei Prostatakrebs, Eribulin bei Brustkrebs. Gutachten des IQWiG haben dazu geführt, dass der Wert von Cabazitaxel bei Prostatakrebs gering, von Abirateron beträchtlich und von Eribulin bei Brustkrebs ebenfalls gering eingestuft wurde. Von der DGHO werden nunmehr die uneinheitlichen und intransparenten Bewertungsstandards kritisiert, und es wird die Forderung erhoben, dass in die Begutachtung mehr ärztliche Kompetenz einfließen muss.

Risk-Sharing-Modelle („Patient Access Scheme“): EU-weit zeichnet sich derzeit ein wachsender Trend bei Risk-Sharing- Modellen ab, die zumindest in 6 europäischen Ländern zeitlich befristet mit dem Ziel evaluiert werden, die Verfügbarkeit kostenintensiver Produkte sicherzustellen, deren „Performance“ sich noch herausstellen muss. Wenn festgelegte Maximaldosen in der praktischen Anwendung überschritten werden oder wenn das Medikament nicht den erhofften Erfolg bringt, werden die Kosten zwischen der Versicherung und dem Hersteller nach individuellen Schlüsseln aufgeteilt, während zugleich Anwendungserfahrungen in der Praxis gesammelt werden, die wieder Einfluss auf die endgültigen Preisund Rückerstattungsverhandlungen haben. Italien und Großbritannien sind jene Länder, in denen neu diskutierte Zugangsregularien – „Payment by Results“, „Cost-Sharing Scheme“, Risk-Sharing Scheme“ – für die meisten der neuen Medikamente jeweils unterschiedlich implementiert wurden: in Großbritannien auf Basis eines 5-jährigen freiwilligen Vertrags zwischen dem Gesundheitsministerium und der Industrie. Tatsächlich ist keines der Modelle unumstritten. Primäre Intention ist die Senkung der Kosten in einem System mit limitierten Ressourcen, weshalb bei der Interpretation nicht nur die Besonderheiten des Medikaments in der jeweiligen Indikation, sondern auch die Gegebenheiten des Landes berücksichtigt werden müssen. In Großbritannien spielt das „National Institute for Health and Clinical Excellence“ (NICE) bei der Einschätzung der Kosten-Nutzen-Effektivität eine entscheidende Rolle. Im Lancet Oncology „Commission Statement“ wurde darauf hingewiesen, dass die von NICE praktizierten Kosteneffektivitätsschwellen, z. B. 30.000 Pfund pro gewonnenem Lebensjahr unter qualitativ guten Bedingungen (quality adjusted life-year; QUALY), auf Berechnungsmodellen aus dem Jahr 1982 beruhen und unter Berücksichtigung der jährlichen Inflationsrate heute ein Vielfaches erreichen müssten. Die WHO schlägt für Länder mit hohem Bruttoinlandsprodukt Schwellenwerte von 100.000 bis 140.000 Dollar pro QUALY vor, innerhalb derer eine Therapie kosteneffektiv wäre.

Fazit

„Aus internationaler Sicht lässt sich festhalten, dass vieles im Aufbruch ist, wobei ein Aufbruch, der nur von Finanzen bestimmt wird, auch nicht befriedigend ist“, so Univ.-Prof. Dr. Gnant. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass sich seitens der Industrie in Österreich vieles anders darstellt: Solidarbeitrag von 82 Millionen Euro zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Krankenversicherungen; Generikapreisregelung, aus der heraus mit der Zulassung von Generika auch der Preis des Originators um 40– 60 % geringer wird, was als Abwärtsspirale beschrieben wird; Parallelimporte von Medikamenten oder die Diskussion zur Anwendung von Generikapreisregeln auf Biosimilars, die keine Generika sind. Wie einleitend beschrieben geht es an dieser Stelle vor allem darum, die Bandbreite einer aktuellen Diskussion zu definieren, um dem Generalverdacht, dass alles in der Onkologie zu teuer wäre und einer daraus resultierenden Defensivhaltung argumentativ zu begegnen, mit dem Ziel, das in Österreich hohe onkologische Versorgungsniveau auch weiterhin gewährleistet zu wissen.