Brustkrebsrisikofaktor Lebensstil

Mit ca. 1,38 Millionen Neuerkrankungen im Jahr 2008 (23 % aller Malignomfälle) ist das Mammakarzinom weltweit sowohl die häufigste Krebserkrankung der Frau als auch die führende krebsbedingte Todesursache beim weiblichen Geschlecht. Derzeit übersteigt die Inzidenz in den Industrieländern mit > 80/100.000 deutlich jene in den Entwicklungsländern (< 40/100.000), allerdings lässt sich eine Aufholtendenz beobachten. Der prognostizierte Anstieg der globalen Rate auf bis zu 2 Millionen Neuerkrankungen im Jahr 2030 fußt überwiegend auf dem Aufwärtstrend in den Entwicklungsländern.

Reproduktionsverhalten als wesentlicher Aspekt

Zahlen der International Agency for Research on Cancer beziffern die kumulative Inzidenz des Mammakarzinoms bis zum Alter von ca. 70 Jahren in den Industrieländern mit 6,3 %. Für ländliche Gegenden in Asien oder Afrika beträgt der entsprechende Prozentsatz hingegen nur 1 %. Das Zusammenführen der Daten aus 200 epidemiologischen Studien durch die Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer ermöglichte es erstmals, diesen Unterschied zu ergründen1. „Wir konnten klar zeigen, dass nicht nur das Alter bei der ersten Geburt eine Rolle spielt, sondern auch die Anzahl der Kinder“, erläuterte Prof. Dr. Valerie Beral, Cancer Epidemiology Unit, Universität Oxford. „Mit jeder Geburt nimmt das Brustkrebsrisiko um rund 10 Prozent ab.“ Ebenso wurde eine kontinuierliche Risikosenkung parallel zur Stilldauer dokumentiert.
Laut Beral könnte die Mammakarzinominzidenz in den Industrieländern um mehr als die Hälfte gesenkt werden, wenn das Fortpflanzungsmuster jenem in den Entwicklungsländern gleichen würde, d. h. wenn Frauen 5 bis 6 Kinder gebären und eine Stilldauer von jeweils bis zu zwei Jahren einräumen würden. „Dieses Vorgehen ist natürlich nicht praktikabel, aber beim Reproduktionsverhalten handelt es sich definitiv um den Hauptgrund für das hohe Mammakarzinomrisiko in der westlichen Welt.“ (Abb.)

Kaum Unterschiede durch Hormongabe und Gene

Als vernachlässigbar können hingegen Effekte der oralen Kontrazeptiva eingestuft werden. Ein geringer Risikozuwachs unter der Einnahme ist unbestritten, das Risiko sinkt aber nach dem Absetzen wieder ab. Dies gilt auch für die Anwendung der Hormonersatztherapie (HRT). Andere bekannte Faktoren umfassen das Alter bei der Menarche, die Körpergröße (als Korrelat der besseren Ernährungssituation), das Körpergewicht (nur postmenopausal relevant) und die Alkoholzufuhr. „Wenn alle Faktoren optimal sind, fällt das Risiko bereits auf 1,8 Prozent“, so Beral. Globale Veränderungen in diesen Bereichen erklären die ständige Zunahme der weltweiten Mammakarzinominzidenz, „Frauen in den Entwicklungsländern übernehmen den westlichen Lebensstil“ (Valerie Beral).
Bisher wurden 30 Einzelnukleotidpolymorphismen (Single nucleotid polymorphisms, SNP) identifiziert, die mit dem Mammakarzinomrisiko in Zusammenhang stehen. Der von Reeves et al. publizierte Score auf Basis von sieben SNP zeigt allerdings nur moderate Risikovariationen an2. Im Vergleich dazu stellt etwa die Familienanamnese ein weitaus besseres Indiz für die individuelle Wahrscheinlichkeit einer Krebsentstehung dar. Die Wissenschaftlerin warnte vor der trügerischen Sicherheit günstiger SNP-Kombinationen. „Nicht nur Frauen mit dem höchsten genetischen Risiko sollten im Fokus stehen, sondern alle.“ Beral regte die Entwicklung einer hormonellen Prävention des Mammakarzinoms an. „Die Forschung sollte sich auf Möglichkeiten konzentrieren, Schwangerschaft und Stillen medikamentös zu imitieren.“

Effekte bestimmter Nährstoffe

Ein ausführlicher Review durch den World Cancer Research Fund (WCRF) und das American Institute for Cancer Research (AICR) aus dem Jahr 2007 bewertet den Einfluss verschiedener Lebensstilfaktoren auf das prä- bzw. postmenopausale Mammakarzinom (Tab. 1)3. „Limitierend hierbei ist allerdings die Tatsache, dass es nicht nur eine Form von Brustkrebs gibt“, hielt Dr. Isabelle Romieu, Centre International de Recherche sur le Cancer, Lyon, Frankreich, einschränkend fest, „sondern je nach Rezeptorexpression unterschiedliche Karzinomarten. Das Studium der Effekte einzelner Lebensstilfaktoren auf bestimmte Subgruppen setzt allerdings große Datenbanken voraus.“

Alkoholkonsum: Eine eindeutige Assoziation sowohl beim prä- als auch beim postmenopausalem Mammakarzinom konnte in Bezug auf den Alkoholkonsum nachgewiesen werden. Ausgehend von einem neutralen Risiko bei keinem Alkoholkonsum resultiert pro zusätzlichem Getränk pro Tag (10 g Alkohol) eine Risikoerhöhung um 3–9 %. „Dieser Anstieg gilt hauptsächlich für ER-positive Tumoren“, berichtete Romieu. Alkohol erhöht die Mengen zirkulierenden Östrogens sowie die Aromataseaktivität. Die transkriptionelle Aktivität von ER-α (als Ausdruck der Sensitivität des Brustgewebes gegenüber Östrogenen) nimmt zu, es kommt zu einer Verstärkung der Proliferation und des ER-α-Gehalts ER-positiver Zelllinien. Eine Rolle dürfte auch die Genotoxizität des Alkoholmetaboliten Acetaldehyd spielen.

Kohlenhydrate und Fette: Im Bereich der Ernährung haben rasch absorbierbare Kohlenhydrate aufgrund der direkten mitogenen Effekte von Insulin eine theoretische Bedeutung, die meisten prospektiven Studien ergaben jedoch keinen Hinweis auf eine Assoziation mit dem Brustkrebsrisiko. Romieu: „Kohlenhydrate könnten das Mammakarzinomrisiko in erster Linie bei Frauen mit bereits vorhandener Insulinresistenz erhöhen.“ In der großen EPIC-Studie fand sich ein Risikoanstieg um 40 % in der Gruppe mit der höchsten Kohlenhydratzufuhr4. Für die Ballaststoffzufuhr aus Gemüse wurde hingegen eine signifikante Abnahme verzeichnet (p < 0,001)5. Bezüglich des Stellenwerts der Fettsäurezufuhr (gesättigte Fettsäuren, einfach ungesättigte Fettsäuren, PUFA-ω-6, PUFA-ω-3) lieferte die Literatur bisher keine wirklich überzeugenden Daten. „Eine Metaanalyse zeigt aber, dass das Brustkrebsrisiko durch Omega-3-Fettsäuren reduziert werden kann“, so Romieu. „Dieser Effekt könnte in verschiedenen Subgruppen eine Rolle spielen.“ In der mexikanischen CAMA-Studie wurde eine Risikosenkung durch Omega-3-Fettsäuren bei adipösen Frauen gefunden6. „Denkbar ist eine geringere Östrogensynthese durch Fettsäuren, welche die Aromataseexpression herunterregulieren, aber auch durch erhöhte Adiponektinspiegel sowie niedrigere Leptinspiegel.“ Transfettsäuren, die vor allem in industriell verarbeiteter Nahrung vorkommen, bewirken hingegen einen Risikoanstieg7.

Vitamin D und Folsäure: Die zahlreichen physiologischen Effekte von Vitamin D werden aufgrund der hohen Rezeptordichte auch in der Mamma wirksam. In EPIC konnte eine Korrelation hoher 25-OH-D3-Serumspiegel (> 27 ng/ml) mit einer Risikoreduktion um 27 % gegenüber den niedrigsten Werten (< 19,8 ng/ml) festgestellt werden8. Zu den potenziellen Mechanismen dieser Assoziation zählen unter anderem antikanzerogene Effekte, die Hemmung der Zellproliferation, Stimulation der Zelldifferenzierung, Förderung der Apoptose sowie die Regulation des Androgen- und Östrogenrezeptor- Signaling.
Ein Mangel an Folsäure und B-Vitaminen kann aufgrund des Stellenwerts dieser Verbindungen für DNA-Synthese und -Reparatur krebsfördernd wirken. Die VITAL- Kohortenstudie an 35.023 postmenopausalen Frauen ergab bei Teilnehmerinnern, die ≥ 1.272 Folsäureäquivalente/ Tag über zehn Jahre zu sich nahmen, eine Risikoreduktion um 22 % gegenüber Frauen mit einer Zufuhr von maximal 345 Folsäureäquivalenten/ Tag9. „Es wurde ein stärkerer Effekt auf ER-negative Karzinome verzeichnet“, erklärte Romieu. „Für die protektive Wirkung war nicht die aktuelle Einnahme ausschlaggebend, sondern die kumulative Zufuhr.“ Abgesehen von einzelnen Nährstoffen beeinflusst die Art der Ernährung insgesamt das Mammakarzinomrisiko. Eine Metaanalyse von 18 Studien erbrachte eine signifikante Risikosenkung um 11 % durch eine Ernährung, die reich an Obst, Gemüse, Huhn, Fisch, Milchprodukten mit niedrigem Fettanteil und Ballaststoffen war, bei Patientinnen in der höchsten vs. der niedrigsten Kategorie (p = 0,02)10. Fung et al. berechneten einen Diätscore über 26 Jahre anhand der Daten der Nurses’ Health Study, in deren Verlauf 5.511 Mammakarzinome bei 86.621 Teilnehmerinnen diagnostiziert wurden11. „Die Ernährungsweise mit dem stärksten protektiven Effekt war jene mit einem hohen Gemüse- und einem niedrigen Kohlenhydratanteil“, erläuterte Romieu. Einen Benefit zeigten allerdings nur Patientinnen mit ER-negativen Tumoren (p = 0,03).

Adipositas revisited

Schon länger bekannt ist eine deutliche Erhöhung des Brustkrebsrisikos um 30 bis 40 % durch Übergewicht bei postmenopausalen Frauen, während die Rolle des Übergewichts in der Prämenopause weniger klar ist. Auf molekularer Ebene liegen der Assoziation zwischen Übergewicht und erhöhtem Brustkrebsrisiko drei Mechanismen zugrunde: die Insulin-IGFAchse, die ektope Östrogensynthese und Sekretionsprodukte von Adipozyten (Adipokine/ inflammatorische Zytokine). Derzeit wird die Rolle verschiedener Arten der Adipositas (abdominell, subkutan) in umfangreichen Forschungsarbeiten evaluiert, wobei laut Romieu vor allem die abdominelle Adipositas mit dem Mammakarzinomrisiko zusammenhängen dürfte. Taillenumfang und Taille-Hüfte-Verhältnis zeigen eine positive Korrelation mit dem prämenopausalen Brustkrebsrisiko12. Unbestritten ist die Bedeutung der Gewichtszunahme im Erwachsenenalter. Laut einer Metaanalyse von Vrieling et al. fand sich bei einer Gewichtszunahme um 10– 30 kg eine Risikoverdopplung für ER- und PR-positive Karzinome13.

Körperliche Aktivität

Sportliche Aktivität führt zu einer Reduktion von Fettanteil, Leptin, Insulin und IGF-1, reduziert die Östrogensekretion, erhöht SHBG und Adiponektin und beeinflusst inflammatorischer Marker günstig (CRP, IL-6, TNF-α). Eine Vielzahl an Studien zum Einfluss von Bewegung auf das Mammakarzinomrisiko erbrachte unterschiedliche Ergebnisse. In einer Metaanalyse konnte jedoch eine durchschnittliche Risikosenkung um 25–30 % ermittelt werden14. „Sogar Haushaltsaktivitäten bewirken einen Rückgang des Brustkrebsrisikos um 21 %“, berichtete Romieu. Mäßige Aktivität wurde mit einem um 15 % verringerten Risiko in Verbindung gebracht, kräftige Bewegung mit einer 18%igen Risikoreduktion. Zwei bis drei Stunden Sport pro Woche senken das Brustkrebsrisiko um 9 %, mehr als sechs Stunden um 18 %.

„Window of exposure“

Ein Diskussionspunkt dreht sich um die Frage, inwieweit die individuelle Prädisposition zur Entwicklung eines Mammakarzinoms in verschiedenen Lebensphasen geprägt wird. Für die Brust ist eine Phase erhöhter Suszeptibilität vor der Pubertät sowie vor der ersten Schwangerschaft bekannt. Baer et al. stellten protektive Effekte eines höheren Körpergewichts bei präpubertären Mädchen sowohl in Bezug auf deren frühes (prämenopausales) als auch deren späteres (postmenopausales) Mammakarzinomrisiko fest, wobei die Gründe hierfür nicht geklärt sind15. Dieser Effekt war bei Frauen mit geringem Geburtsgewicht sowie in Bezug auf ER-negative Tumoren stärker.
Zum Einfluss der Ernährung in der Adoleszenz auf die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines prämenopausalen Mammakarzinoms existieren zwei Analysen. Demzufolge steigt das Risiko durch einen hohen Fettkonsum im Erwachsenenalter um 35 % an16. Rotes Fleisch übt einen ähnlichen Effekt in der Größenordnung von 34 % aus, der besonders hinsichtlich ER-positiver Tumoren zu Buche schlägt17. „Dies sind die einzigen einschlägigen Daten, weshalb wir weitere Forschungen benötigen“, unterstrich Romieu. Auf jeden Fall lohnt es sich, auf eine gesunde Lebensweise zu achten, wie sie die Empfehlungen von WCRF und AICR nahelegen (Tab. 2). Modifikationen des Lebensstils können das Brustkrebsrisiko eindeutig verringern.

 Quelle: Vortrage „the role of lifestyle, genes, and bad luck in women with breast cancer“ & „lifestyle factors and breast cancer – recent study results and what they mean“ im rahmen der 8th european breast cancer conference, 23. 03. 2012, Wien

1 collaborative group on hormonal Factors in breast cancer, lancet 2002; 360(9328):187–195
2 reeves gK et al., JAMA 2010; 304(4):426–434
3 World cancer research Fund/American institute for cancer research. Food, nutrition, Physical Activity, and the Prevention of cancer: a global Perspective. Washington, dc: Aicr 2007
4 romieu i et al., Am J clin nutr, submitted
5 Ferrari et al., Am J clin nutr, submitted
6 chajes V et al., cancer epidemiol biomarkers Prev 2012; 21(2):319–326
7 chajes V et al., Am J epidemiol 2008; 167(11):1312–1320
8 engel P et al., cancer epidemiol biomarkers Prev 2010; 19:2341–2350
9 Maruti ss et al., Am J clin nutr 2009; 89(2):624–633
10 brennan sF et al., Am J clin nutr 2010; 91(5):1294–1302
11 Fung tt et al., Am J epidemiol 2011; 174(6):652–660
12 Amadou A, Am J epidemiol, submitted
13 Vrieling A et al., breast cancer res treat 2010; 123:641–649
14 Friedenreich cM, cust Ae, br J sports Med 2008; 42(8):636–647
15 baer hJ et al., Am J epidemiol 2010; 171(11):1183–1194
16 linos e et al., cancer epidemiol biomarkers Prev 2010; 19(3):689–696
17 linos e et al., cancer epidemiol biomarkers Prev 2008; 17(8):2146–2151