Die axilläre Lymphknotendissektion (ALND) der Level I/II gilt nach wie vor als therapeutischer Standard für Patientinnen mit lymphknotenmetastasiertem Mammakarzinom. Seit Sir William Halsted 1894 die radikale Mastektomie mit der systematischen Lymphknotenentfernung propagiert hatte, änderte sich diese Vorgehensweise erst gut 100 Jahre später, als Armando Giuliano das Konzept der Sentinel Node Biopsy (SNB) für das Mammakarzinom adaptierte. Im Laufe der letzten 15 Jahre stellte sich nun auch in mehreren randomisierten Studien heraus, dass ein negativer Wächterlymphknoten zuverlässig den Status der restlichen Axilla vorhersagen kann. Trotzdem muss kritisch angemerkt werden, dass auch hier die Chirurgen nicht auf die Ergebnisse von randomisierten Studien gewartet haben, sondern dass eigentlich sehr undiszipliniert und teilweise unkritisch mit dieser Technik begonnen wurde. Lediglich in wenigen Ländern haben sich qualitätssichernde Programme etabliert, die die Ausbildung der Chirurgen überwacht und die Ergebnisse dokumentiert haben. Eines dieser Programme wurde von der Österreichischen Arbeitsgruppe Sentinel Node Biopsie (ASNSG) etabliert, wo unter der Organisation von Anton Haid und Peter Konstantiniuk ein beispielhaftes Netzwerk mit zentraler Datenerfassung und -auswertung erstellt wurde. Mehrere tausend SNB-Prozeduren wurden hier prospektiv erfasst und einige bedeutende Fragestellungen konnten in prominenten Publikationen diskutiert werden. So haben im Laufe der Jahre die Kontraindikationen für die SNB immer mehr abgenommen, bis vor circa zwei Jahren lediglich die „positive Axilla“ als Kontraindikation für die SNB übrig geblieben ist. In den letzten Jahren ist es dann eher ruhig um den Wächterlymphknoten geworden, und die meisten Gruppen sind zu der Ansicht gelangt, dass es kaum noch relevante Fragestellungen zu diesem Thema gab.
Dies änderte sich schlagartig, als die ersten Daten aus der „Giuliano-Studie“ veröffentlicht wurden, der ACOSOG-Z0011- Studie, die als randomisierte Studie die Axilladissektion verglichen hat mit keiner weiteren Operation in der Axilla bei positiven Wächterlymphknoten. Die Studie wurde bereits im Jahr 1999 gestartet und es konnten Patientinnen mit Mikrometastasen und mit maximal zwei Makrometastasen eingeschlossen werden. Die Schlussfolgerung der Studie ist natürlich allen Lesern bekannt – das Unterlassen einer komplettierenden Axilladissektion bei positivem Sentinel Node hatte keinen negativen Einfluss auf das Überleben. Bekannterweise hat diese Studie viele relevante Kritikpunkte, die in der Diskussion über eine generalisierte Anwendung der Ergebnisse unbedingt berücksichtigt werden müssen.
Die größten Kritikpunkte:
Diese Kritikpunkte und die Tatsache, dass eigentlich mehrere randomisierte Studien nötig sind, um den Goldstandard zu ändern, sind der Grund, warum dies weltweit so unterschiedlich geschieht und heftig umstritten ist. In einigen Ländern, wie zum Beispiel den USA, wurde der Verzicht auf die unbeliebte Axilladissektion sehr schnell umgesetzt und manche sind auch davon abgegangen, überhaupt einen Gefrierschnitt und eine Immunhistochemie des Sentinel Node zu machen, da es sowieso keine Konsequenz habe. In vielen anderen Ländern werden die Daten wesentlich kritischer diskutiert und es formieren sich nationale Konsensuskonferenzen mit dem Versuch, die Daten für den klinischen Alltag aufzuarbeiten.
Konsensuskonferenzen ACO-ASSO und Senologie sowie gemeinsamer Konsensus mit der Schweizer Gesellschaft für Senologie (SGS), der Deutschen Gesellschaft für Senolgie (DGS) und der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO)
Im Oktober 2011 wurde von der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgische Onkologie (ACO-ASSO) und der Gesellschaft für Senologie (ÖGS) ein interdisziplinärer Diskurs organisiert, wo 22 Experten aus allen relevanten Fachdisziplinen über offene Fragen zur Lokaltherapie des Mammakarzinoms diskutierten und anschließend Empfehlungen abgaben, die im Journal „Breast Care“ veröffentlicht wurden. Neben vielen interessanten Diskussionen war das am kontroversiellsten diskutierte Thema die Chirurgie der Axilla. Das Panel war, wie auch das St. Gallen Konsensuspanel, der Meinung, dass eine komplettierende Axilladissektion bei isolierten Tumorzellen oder Mikrometastasen im Sentinel Node nicht mehr notwendig ist. Bis die zuvor erwähnten Probleme der Z0011-Studie geklärt sein werden und in Ermangelung von klarer Level-1-Evidenz, hatte sich das Panel dazu entschieden, den Verzicht auf die Axilladissektion bei Patientinnen mit 1–2 Makrometastasen, die den Einschlusskriterien von ACOSOG-Z0011 entsprechen, nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Ebenso wenig wurde der Verzicht auf die Axilladissektion bei Patientinnen mit Makrometastasen und biologischem Low-Risk-Karzinom im Allgemeinen empfohlen, was die zunehmende Skepsis der wissenschaftlichen Gemeinschaft gegenüber allzu schnellem Paradigmenwechsel ohne ausreichende und klare Evidenz widerspiegelt.
In weiterer Folge wurde im Rahmen der European Breast Cancer Conference (EBCC 8) in Wien im März diesen Jahres ein „deutschsprachiger Konsensus“ gemeinsam mit den Schweizer und Deutschen Fachgesellschaften abgehalten. Bei dieser Abstimmung von 14 Experten aus den 3 Ländern wurde einmal mehr empfohlen, dass isolierte Tumorzellen im Wächterlymphknoten nicht mit aufwändigen seriellen Schnittstufen und Immunhistochemie (IHC) gesucht werden sollen. Allerdings wurde von allen Pathologen bemerkt, dass die IHC die Diagnose oft erleichtert, die sonst zum Beispiel bei lobulären Karzinomen durchaus falsch-negativ sein kann. Die Empfehlung zum Verzicht auf ALND bei isolierten Tumorzellen und Mikrometastasen war auch bei dieser Sitzung dementsprechend klar. Bei der spannendsten Frage der Makrometastasen zeigte sich insgesamt eine Tendenz zur Akzeptanz der ACOSOG-Einschlusskriterien, was die Haltung der Kollegen aus der Schweiz und aus Deutschland widerspiegelt. Knapp zwei Drittel (64 %) empfahlen die Möglichkeit zum Verzicht auf die ALND bei 1–2 Makrometastasen entsprechend der ACOSOG-Kriterien mit entsprechender adjuvanter Therapie inklusive Strahlentherapie. Eine deutlichere Mehrheit fand sich mit 86 % Zustimmung bei der zusätzlichen Einschränkung auf Low-Risk-Tumoren (T1/2, Grad 1/2, postmenopausal und östrogenrezeptorpositiv). Ebenso klar waren die Empfehlungen, dass Nomogramme in der Entscheidung nicht hilfreich sind und dass in der Nachsorge der Patientinnen, bei denen auf die ALND verzichtet wird, eine Ultraschalluntersuchung der Axilla zu empfehlen ist. Eine Erweiterung der Strahlentherapiefelder bei Verzicht auf die ALND wurde von der Mehrheit der Experten abgelehnt und wenn schon auf die ALND verzichtet wird, sollten die Patientinnen in nationale Register eingebracht werden. Eine Alternative dazu ist eine erneute Evaluation in einer zweiten prospektiv- randomisierten Studie, wie sie unter anderem in Deutschland geplant ist, die zum jetzigen Zeitpunkt sicher hervorragend rekrutieren dürfte. Hierbei ist sicher zu fordern, dass die Biologie und das Risikoverhalten des Primärtumors wichtige Faktoren in diesen Studien sein müssen, da sowohl das Lokalals auch das Regionärrezidivrisiko in Wirklichkeit vielmehr von der Biologie abhängt, als zum Beispiel von einer arbiträr gewählten Metastasengröße oder der Anzahl der entfernten Lymphknoten.
Der Verzicht auf eine bewährte und heutzutage komplikationsarme Stagingoperation mittels komplettierender Axilladissektion muss anhand der immer noch limitierten Datenlage im Einzelfall gut überlegt werden. Für isolierte Tumorzellen und Mikrometastasen im Sentinel Node sind sich die Experten einig, dass auf die ALND verzichtet werden kann. Im Hinblick auf eine limitierte Makrometastasierung bei günstigem Risikoprofil scheint sich in vielen Ländern und Fachgesellschaften ein Trend zur Akzeptanz der ACOSOG-Z0011-Daten abzuzeichnen. Eine weitere Aufarbeitung der Strahlentherapiedaten dieser Studie und neue Studien zum diesem Thema sind absolut wichtig und sollten von allen Zentren und Studiengruppen gefördert werden.
Brustchirurgie
Chirurgie der Axilla und Pathologie
Plastische Chirurgie
Strahlentherapie
Bildgebung
* modifiziert nach Knauer, Gnant, Fitzal et al., breast care 2012; 7:61–66