Ergebnisse der Innsbrucker Konsensuskonferenz

Aufgrund aktueller Daten der ACOSOG-Z0011-Studie zum Nutzen der Entfernung der Achsellymphknoten bei positiven Wächterlymphknoten bei Brustkrebs hat die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG) und die Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) am 30. 9. 2011 in Innsbruck ein Konsensusmeeting organisiert, um Behandlungsempfehlungen zu erarbeiten.*

Sinn und Unsinn einer axillären Lymphonodektomie

Als Sentinel-Lymphknoten beim Mammakarzinom bezeichnet man den bzw. die im Lymphabflussgebiet liegenden Lymphknoten, die im Falle einer Aussaat von Tumorzellen über das Lymphsystem zuerst betroffen sind. Die Identifikation und Entfernung der Wächterlymphknoten hat sich im Rahmen des operativen Tumormanagements von Brustkrebs als Standard etabliert. Bei Tumorfreiheit der Wächterlymphknoten kann auf eine Tumorfreiheit der nachgeschalteten Lymphknotenstationen geschlossen und auf eine ausgedehnte axilläre Lymphknotenentfernung verzichtet werden. Durch die zunehmende Beachtung der Regeln der evidenzbasierten Medizin hat sich jedoch in den letzten Jahren gezeigt, dass dieser Eingriff von primär prognostischer Relevanz ist. Dies bedeutet, dass die Anzahl der metastatisch befallenen Lymphknoten direkt mit dem Überleben der betroffenen Patientinnen korreliert. Keinesfalls korreliert jedoch die Anzahl der entfernten Lymphknoten mit der Prognose der betroffenen Frau. Die Entfernung des Wächterlymphknotens ist seit Jahren etablierter Bestandteil in der operativen Behandlung von Brustkrebs. Wenngleich erst jetzt umfassende Informationen zur sicheren Anwendung dieses Konzepts vorliegen, geht es aktuell jedoch bereits um die Frage, ob bei Absiedlungen von Tumorzellen in diesen Wächterlymphknoten auf eine Entfernung weiterer Lymphknoten aus der Achselhöhle gänzlich verzichtet werden kann, ohne das Risiko für ein Lokalrezidiv oder Gesamtüberleben dieser Patientinnen negativ zu beeinflussen. Die Ergebnisse einer aktuellen amerikanischen Studie (ACOSOGZ0011) an 800 Brustkrebspatientinnen haben die grundlegende Betrachtungsweise verändert. In dieser Studie zum Vorteil einer Entfernung von weiteren axillären Lymphknoten nach Tumornachweis im Wächterlymphknoten ergaben sich für die Patientinnen mit günstigem Gesamtrisikoprofil, applizierter Strahlentherapie und systemischer Therapie keine Vorteile durch die Entfernung zusätzlicher axillärer Lymphknoten. Setzt sich dieses Konzept durch, wäre die operative Versorgung von Brustkrebs zumindest in der Achselhöhle auf ein Minimum reduziert und der Fokus der Behandlung läge zukünftig mehr in der medikamentösen Behandlung dieser Erkrankung. Allerdings wird diese Frage derzeit unter Experten heftig diskutiert und aus diesem Grund wurde am 30. September 2011 in Innsbruck eine Konsensuskonferenz diese Frage betreffend abgehalten. Damit wurde versucht einen Leitfaden für die tägliche Praxis zu erstellen.

Aktuelle Datenlage

Ist eine axilläre Dissektion bei metastatisch besiedelten Sentinel-Lymphknoten wirklich immer notwendig und ein Vorteil für die Patientin? Das Konzept der radikalen Entfernung axillärer Lymphknoten im Rahmen der Behandlung des Mammakarzinoms wird durch viele retrospektive Studien und rezent durch eine prospektiv randomisierte Studie in Frage gestellt. Aufgrund der doch erheblichen Morbidität, die eine Axilladissektion zur Folge haben kann, könnte ein möglicher Verzicht dieser Operation wesentliche Vorteile für die Betroffene mit sich bringen. Die Halsted-Theorie, die das Mammakarzinom als eine primär lokal begrenzte Erkrankung sieht, die sich erst in Folge durch eine weitere lokale Ausbreitung hin zu einer systemischen Erkrankung entwickelt, wurde durch die ambitionierten Arbeiten rund um die Arbeitsgruppe von Bernard Fisher in neuerer Zeit eindrucksvoll widerlegt. Inzwischen ist es eine weitgehend anerkannte Erkenntnis, dass die Axilladissektion keinen therapeutischer Eingriff im eigentlichen Sinne darstellt, sondern der Beurteilung der Ausdehnung des Mammakarzinoms (Staging) dient. Aufgrund dieser Tatsache haben retrospektive Untersuchungen die Frage aufgeworfen, ob bei positiven Wächterlymphknoten weiterhin eine Axilladissektion notwendig ist. Bei 40–60 % der Patientinnen ist der Sentinel-Lymphknoten der einzige positive Lymphknoten, und somit finden sich im gleichen Prozentsatz der Frauen im Rahmen einer Axilladissektion keine weiteren befallenen Lymphknoten. Bei einer falsch-negativ Rate von 5–10 % bei der Sentinel-Node-Biopsie sind schließlich bei 1–4 % der Patientinnen verbleibende positive Lymphknoten in der Axilla nach diesem Eingriff anzunehmen. Tatsächlich betrug die Rate an axillären Rezidiven – wie im Rahmen einer großen Metaanalyse mit etwa 15.000 Patientinnen festgestellt wurde – lediglich 0,3 %. Die Auswertung der amerikanischen National Cancer Data Base mit insgesamt 400.000 Patientinnen mit Mammakarzinom identifizierte 16.500 Patientinnen mit Makrometastasen der Lymphknoten bzw. 3.674 mit mikroskopischen Lymphknotenmetastasen, die einer alleinigen Sentinel-Lymphonodektomie (Verzicht auf Axilladissektion aus verschiedensten Gründen) unterzogen wurden. Die Rate axillärer Rezidive war mit 1,2 % vs. 1 % statistisch nicht signifikant von jenen Patientinnen mit Axilladissektion zu unterscheiden. Ob nun eine Axilladissektion durchgeführt wurde oder nicht, hatte keinen Einfluss auf das Überleben dieser Patientinnen. Allerdings konnte in diesen Untersuchungen auch gezeigt werden, dass bei überdurchschnittlich vielen Patientinnen mit günstigen Tumorcharakteristika auf eine axilläre Dissektion verzichtet worden war. Dieser Selektionsbias ist bei der Interpretation dieser Daten wichtig zu berücksichtigen. Abgesehen von diesen großteils retrospektiven Daten hat nunmehr die Publikation des amerikanischen ACOSOG-Z0011-Trials (Giuliano AE et al., JAMA 2011 Feb 9; 305 [6]:569–75) für großes Aufsehen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gesorgt. In diese Studie wurden Patientinnen mit klinischen T1- und T2-Tumoren ohne offensichtlichen Befall der Lymphknoten aufgenommen. Die Patientinnen erhielten eine brusterhaltende Operation, gefolgt von einer Gesamtbrustbestrahlung. In die eigentliche Studie wurden letztendlich nur Patientinnen mit durch Hämatoxylin-Eosin-Färbung nachweisbaren Metastasen im Sentinel-Lymphknoten aufgenommen. Patientinnen mit rein immunhistochemisch diagnostizierbaren Absiedelungen wurden exkludiert (Abb. 1). Die Anzahl der befallenen Lymphknoten musste weniger als drei betragen. Insgesamt wurden knapp 900 Patientinnen randomisiert, wobei bei Analyse der Patientinnencharakteristika doch eine Selektion in günstige Prognosefaktoren auffällt (hoher Anteil von postmenopausalen T1-Tumoren mit gutem Differenzierungsgrad und positivem Hormonrezeptorstatus). Bei den Patientinnen, die in die Gruppe „Axilladissektion“ randomisiert worden sind, konnte bei 106 (27,3 %) zumindest ein zusätzlicher befallener Knoten entfernt werden. Die Studie wurde wegen schleppender Rekrutierung vorzeitig geschlossen und die Auswertung erfolgte nach einer medianen Beobachtungszeit von 6,3 Jahren. Die lokale und regionale Rezidivrate lag bei 4,1 % für die Gruppe mit der axillären Lymphonodektomie und 2,8 % für die Gruppe mit alleiniger Sentinel-Lymphonodektomie (kein statistisch signifikanter Unterschied). Das Gesamtüberleben zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die Empfehlung aus dieser Studie war nun, dass die routinemäßig durchgeführte axilläre Lymphknotenentfernung bei Patientinnen mit klinisch negativer Axilla nicht gerechtfertigt ist. Diese Empfehlung hat national und international für großes Aufsehen gesorgt und letztlich auch zu einer Unsicherheit in der Behandlung von Mammakarzinompatientinnen mit metastatisch besiedeltem Sentinel-Lymphknoten geführt.

Einheitliches Vorgehen in Österreich

Es war der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie daher ein großes Anliegen, zumindest national einen Standard zu definieren, der für die operativ tätigen Ärzte zu einer höheren Behandlungssicherheit führen kann. Aus diesem Grund wurde am 30. 9. 2011 eine Konsensuskonferenz unter internationaler Beteiligung organisiert. Im Rahmen eines anonymisierten Voting-Systems wurden ausgewählte Experten aus den verschiedensten Fachrichtungen und das anwesende Fachpublikum getrennt voneinander zur zukünftigen Vorgehensweise bei metastatisch besiedelten Wächterlymphknoten befragt. Dabei ging es darum, ob bei einem gewissen Teil der Patientinnen mit positiven Wächterlymphknoten auf eine Axilladissektion verzichtet werden kann. Es war bereits im Vorfeld klar geworden, dass es notwendig war, gewisse Gruppe von Patientinnen zu definieren, bei denen auf eine Axilladissektion verzichtet werden konnte. Diese Schlussfolgerung musste aufgrund der Publikation der ACOSOG-Z0011-Studie gezogen werden, da es trotz weit gefassten Einschlusskriterien zu einer Selektion mit positiven Prognosefaktoren gekommen ist. In der Studie befanden sich überdurchschnittlich viele postmenopausale Patientinnen mit günstiger Tumorbiologie.
Die 15 Mitglieder des Panels waren (in alphabetischer Reihenfolge): Bartsch Rupert (Internistische Onkologie), Gnant Michael (Chirurgie), Hubalek Michael (Gynäkologie), Kapp Karin (Radioonkologie), Lang Alois (Internistische Onkologie), Lax Sigurd (Pathologie), Marth Christian (Gynäkologie), Lukas Peter (Radioonkologie, Neunteufel Walter (Gynäkologie), Reitsamer Roland (Gynäkologie), Sandbichler Peter (Chirurgie), Schrenk Peter (Chirurgie), Tamussino Karl (Gynäkologie), Tschmelitsch Jörg (Chirurgie), Zeimet Alain (Gynäkologie). Somit bestand das interdisziplinäre Panel zu 33 % aus Gynäkologen, 27 % aus Chirurgen, 15 % aus internistischen Onkologen, 15 % aus Radioonkologen und 10 % aus Pathologen. Das Publikum (123 Teilnehmer) der Konferenz waren zu 25 % Chirurgen, 57 % Gynäkologen, 5 % internistische Onkologen, 5 % Pathologen und 8 % Radioonkologen. Insgesamt wurden 11 Fragen zu diesem Thema gestellt und anhand der Antworten wurde eine gemeinsame Vorgehensweise erarbeitet (Tab. 1).

Die Empfehlungen sind in der Tabelle 2 dargestellt. Letztendlich waren sich Panel und Publikum doch einig, dass die 100%ige Implementierung der ACOSOG-Z0011-Ergebnisse aufgrund von deutlichen Schwächen dieser Studie nicht möglich ist. Stattdessen wird zukünftig eine sorgfältige Patientinnenselektion notwendig sein. Man konnte sich einigen, dass nur Patientinnen mit entsprechend günstigen Tumorcharakteristika (Abb. 2) von einem Verzicht auf eine Axilladissektion bei positiven Sentinel-Lymphknoten profitieren werden. Patientinnen mit einem entsprechend hohen Risikoprofil werden in Zukunft weiterhin eine axilläre Lymphknotendissektion erhalten.

Zusammenfassung

Im Rahmen der Innsbrucker Konsensuskonferenz zum Thema „Notwendigkeit einer Axilladissektion bei positiven Sentinel-Lymphknoten“ wurde durch ein interdisziplinäres Panel von Experten und anwesendes Fachpublikum ein einheitliches Vorgehen zu diesem Thema beschlossen (Tab. 2). Zukünftig wird nicht mehr bei allen Patientinnen mit positiven Sentinel-Lymphknoten eine Axilladissektion notwendig sein. Durch den beschlossenen Konsensus ist es zukünftig für Tumorboards einfacher, diese Patientinnen für diese Vorgehen zu selektionieren. Aufgrund der Tatsache, dass sich dieses Vorgehen auf eine einzige prospektiv randomisierte Studie (ACOSOG-Z0011) stützt, wurde von der ABCSG die Initiative eines Registers ins Leben gerufen. In der Studie 33 werden zukünftig Patientinnen-Daten registriert, bei denen auf trotz positiven Sentinellymphknotens auf eine Axilladissektion verzichtet wurde bzw. bei welchen eine Axilladissektion durchgeführt wurde. Dies stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Qualitätssicherung dar.

 

* ein umfassender bericht (inklusive detaillierter ergebnisse der Panelfragen) und die kompletten ergebnisse des Konsensus-Meetings sind in der zeitschrift „geburtshilfe und Frauenheilkunde“ als Vollartikel publiziert (hubalek M et al., Axilladissektion bei positivem sentinel-lymphknoten: ergebnisse der innsbrucker Konsensuskonferenz. geburtsh Frauenheilk 2012; 72:299–304).