Hürden am Weg zur effektiven Betreuung – Herausforderungen bei der klinischen Forschung

Der Vortrag wurde in folgende Punkte gegliedert:

1.) „Fragmentierung“ klinischer Studien

2.) Finanzierung nichtmedikamentöser Studien

3.) Unterschiedliche Interessen beim Studiendesign

4.) Sicherstellung der translationalen Forschung

5.) Länderspezifische Unterschiede bei der Aktivierung globaler Studien

6.) Weiterführen der Studie, wenn der primäre Endpunkt erreicht ist

1.) „Fragmentierung“ klinischer Studien

Nur durch Bündelung der Kräfte können praxisverändernde Studien umgesetzt werden: Zur Sicherstellung eines möglichst schnellen und koordinierten Fortschritts wurden Organisationen wie die EORTC oder BIG gegründet. Die EORTC ist ein Zusammenschluss von 300 Krankenhäusern in 32 Ländern, rekrutiert quer durch alle Tumorentitäten rund 5000 Patienten/Jahr und wird finanziell zu 80 % von der Industrie unterstützt (d. h. nur 20 % der Mittel stammen aus anderen Quellen). Die Breast International Group (BIG) ist ein Zusammenschluss von Tausenden Spitälern in 49 Ländern, rekrutiert allein in der Indikation Mammakarzinom 7000 Patientinnen/Jahr und wird zu 93 % von der Industrie finanziert (7 % der Mittel stammen aus anderen Quellen), was Piccart zur Schlussfolgerung veranlasste, dass es schlichtweg an ein Wunder grenzt, dass diese Organisationen noch existent sind. Deren „Survival“ hängt ganz entscheidend vom Enthusiasmus der jeweiligen Führungspersönlichkeiten ab, und eine auch nur partielle Unabhängigkeit von der Industrie wurde als tägliche Herausforderung dargestellt.

2.) Nichtmedikamentöse Studien als rein akademisches Anliegen

Studien, die chirurgische Techniken oder Fragen zur Strahlentherapie untersuchen oder Studien wie MINDACT wurden ebenfalls als enorme Herausforderung beschrieben. Die TRANSBIG-MINDACTStudie läuft mittlerweile 7 Jahre, inkludiert 6000 Patienten und validiert Gensignaturen beim Mammakarzinom mit der Zielsetzung, durch bessere Diagnose eine Übertherapie zu vermeiden. Die Kosten belaufen sich auf 45 Millionen Euro, es gibt EU-Fördermittel in der Höhe von 7 Millionen Euro und darüber hinaus hätte es 3 Jahre gedauert, bis die restlichen 38 Millionen gesichert waren. Wenn sich die MINDACT-Hypothese bewahrheitet, würden am Ende des Tages Kosten gespart, weshalb Mechanismen in den EU-Ländern gefordert wurden, um Gelder der öffentlichen Hand für klinisch wertvolle Forschungsarbeit frei zu machen.

3. ) Unterschiedliche Interessen beim Studiendesign

In diesem Zusammenhang wurde sozusagen ein bisschen aus dem Nähkästchen erfolgreicher Studien geplaudert, darunter BIG 1-98, die Letrozol vs. Tamoxifen untersuchte. Hier war für die Industrie die Frage interessant, welche Therapie über 5 Jahre die bessere ist, während die Studienleiter auch wissen wollten, ob man die Medikamente u. U. sequenziell verabreichen kann. Der Erfolg ist heute der, dass Aromatasehemmer Tamoxifen verdrängt haben und jene Patienten, die den Aromatasehemmer nicht vertragen, zu einem späteren Zeitpunkt immer noch auf Tamoxifen wechseln können – was nunmehr gesichert ist, andernfalls aber schwer oder gar nicht zu empfehlen wäre. Die Schlussfolgerung bestand in der Feststellung, dass die Partnerschaft zwischen Industrie und klinischen Institutionen jene Studiendesigns hervorbringt, die zur bestmöglichen Patientenversorgung führen, während einseitige Interessen – egal von welcher Seite – wohl immer unter den Erwartungen liegen. Deswegen sollten laut Piccart auch Patienten motiviert werden, Ärzte bei dieser Partnerschaft zu unterstützen. Ein zweites Beispiel war Trastuzumab: Knapp 11.000 Frauen wurden in adjuvanten Studien mit dem Antikörper behandelt, der über 1 Jahr verabreicht der Therapiestandard bei HER2-positiven Patientinnen ist. In der HERA-Studie wurden auch 2 Jahre untersucht, während nur eine Studie (FinHer) der Frage einer kürzeren Therapiedauer von 9 Wochen nachging. Diese Studie war positiv, aber die Evidenzlage ist mit dieser noch dazu kleinen Studie einfach zu gering, um eine praxisrelevante Aussage zu treffen. Interessant ist die Tatsache, dass die Studie größtenteils von der finnischen Regierung unterstützt wurde. Klar auch hier, dass von Seiten des Herstellers kein Interesse an Therapieverkürzung vorhanden ist, und die Schlussfolgerung von Martine Piccart lautete daher, dass nur die Partnerschaft zwischen Industrie, akademischen Institutionen und der öffentlichen Hand eine „Deeskalation“ der Therapie im Sinne einer kürzeren Therapiedauer erreichen kann. Als Problem wurde dargestellt, dass die im adjuvanten Setting kostenintensiven Zulassungsstudien von forschenden Unternehmen allein zu tragen sind und die Herausforderungen dabei nicht zu unterschätzen wären: Nur wenige Substanzen erreichen den Zulassungsstatus und können bei Auftreten schwerer Nebenwirkungen, die in kleineren Phase-I/II-Studien übersehen werden und erst in der globalen Anwendung ans Tageslicht kommen, wenn weltweit alle Patienten unter der gleichen Therapie stehen, jederzeit vom Markt genommen werden. Darüber hinaus wären die Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente in den letzten Jahren gestiegen, während im gleichen Zeitraum immer weniger neue Substanzen zugelassen wurden, sodass hier eine Schere aufgeht, die kaum zur Kostensenkung der Medikamente beitragen wird. Dazu kommt mit dem Auslaufen von Patenten ein für die Vermarktung begrenztes Zeitfenster, das mit den Worten Piccarts verlängert werden sollte, weil der enge Zeitraum zu aktuellen Problemen beiträgt. Umso größer könnte das Interesse der öffentlichen Hand sein: Spekulativ wären vielleicht Einsparungen möglich gewesen, wenn mehrere Länder Studien mit einer kürzeren Therapiedauer getragen hätten und die FinHer-Studie bestätigt worden wäre. Trastuzumab wird bald generisch, in der Zwischenzeit sind aber etliche vielversprechende neue Substanzen von verschiedenen Firmen aufgekommen, die im adjuvanten Setting gegen Trastuzumab als Standardarm verglichen werden – d. h. es geht hier um weitreichende Entscheidungen. Auf der anderen Seite kann man im Kreislauf der Innovationen auch beobachten, dass mit neuen Substanzen auch offene Fragen etablierter Therapien gelöst werden.

4.) Sicherstellung der translationalen Forschung

Vielleicht sind die bisherigen Systeme nicht effizient genug: Laut Martine Piccart wäre es nach 10 Jahren und 1707 Publikationen über HER2-Resistenzmechanismen nicht gelungen, einen validen Biomarker in der Klinik zu etablieren, mit dem sich der Therapieerfolg tatsächlich vorhersagen lässt. Man kann die Patientengruppe nach dem HER2-Status einengen, aber nicht exakt definieren. Die Schlussfolgerung lautete daher, dass man sich derzeit in der Ära der „stratifizierten“ Onkologie bewegt, nicht in jener der „maßgeschneiderten“, was aus heutiger Sicht ebenfalls einen Kostenfaktor darstellt (vgl. auch Punkte 5 und 6).

5.) Aktivierung von Studien quer durch Länder und Kontinente

Zwei Hürden hier sind Kosten und Bürokratie: Interessanterweise wurden von der EORTC seit Implementierung der EUDirektive für klinische Studien immer weniger internationale Studien aktiviert, während der personelle Aufwand gestiegen ist, womit das System offenbar nicht effizient ist. Nachdem die Industrie ebenfalls mit den Kosten von Phase-III-Studien kämpft, sieht Piccart drei potenzielle Szenarien: Eine schlechte Lösung wären Kompromisse beim Studiendesign, der Studiengröße und bei den Endpunkten. Rein theoretisch könnten forschende Unternehmen ihre Studien in Ländern führen, in denen die Kosten geringer sind (z. B. China, Indien), was für den europäischen Standort schlecht wäre. Ein für Piccart kaum nachvollziehbarer Punkt besteht darin, dass auch die Kosten des Standardarms vom forschenden Unternehmen selbst getragen werden müssen, was mit der Zunahme von targeted therapies in den Kontrollarmen (Chemotherapie, Trastuzumab, Lapatinib sequenziell oder in Kombination) dann doch allmählich teuer wird. Der Standardarm in der ALLTO-Studie ist Trastuzumab. Innerhalb der EU gibt es 18 teilnehmende Länder, von denen 3 bereit waren, die Kosten des Therapiestandards zu übernehmen. Piccart meint, dass wenn Europa auf der Landkarte der studienführenden Länder bestehen bleiben will, Länder nicht umhin kommen werden, einen Beitrag bei Zulassungsstudien zu leisten, nicht zuletzt um die translationale Forschung sicherzustellen. Als bürokratische Hürden wurden z. B. länderspezifisch signifikante Unterschiede bei der Genehmigung des Studienprotokolls durch Behörden und Ethikkommissionen genannt, mit der Konsequenz, dass einzelne Länder oft erst spät in laufende Protokolle einsteigen, was Studienergebnisse verzögern kann. Nach dem Go durch die Behörden und durch die Ethikkommission kann es schließlich bis zu einem Jahr dauern, bis einzelne Zentren mit der Rekrutierung beginnen, weil sie zu wenig Unterstützung erhalten. Studiendesign ” Protokoll ” Vertragsunterzeichnung ” Genehmigung durch Behörden und Ethikkommission ” Rekrutierung: Wenn alles gut geht, braucht es laut Piccart im besten Fall 18 Monate zur Aktivierung einer internationalen Studie, im schlechtesten Fall 56 Monate.

6.) Weiterführen der Studie nach Erreichen des primären Endpunkts

Die Eckpunkte hier sind das Langzeit- Follow-up, die translationale Forschung mit Zugang zu Gewebeproben/Datenbanken und die Bekanntmachung von Daten. Ärzte sind im Interesse der Patienten am Langzeit-Follow-up interessiert, im Interesse der Forschung an den Tumorproben und möchten über die Studienpublikation hinaus Zugriff auf individuelle Patientendaten, aus denen mehr hervorgeht als aus der Publikation im Journal. Die Breast International Group bemüht sich um diese Anliegen, wofür ebenfalls Gelder erforderlich sind, die zunächst von der EU kommen (EU FP VII Grant). Geplant ist die biomedizinische Plattform INTEGRATE mit dem Ziel, in Abstimmung mit der forschenden Industrie Daten aus den Kontrollarmen (nicht den Studienarmen) früher verfügbar zu machen.

FAZIT: Unter vielen möglichen Fazits sticht vielleicht am meisten hervor, dass zur Erfüllung der Anliegen in Zukunft verstärkt Patienten mit an Bord geholt werden sollen, die ihre eigenen Anliegen artikulieren und auf diesem Weg Ärzte bei kooperativen Studien unterstützen können.